Ende der 50iger Jahre war der „Problemfilm“ in Deutschland angesagt. Eine neue Nachkriegsgeneration aus der Unterschicht frönt nämlich der bösen Rock’n’Roll Roll-Musik und organisiert sich zu wüsten Rockerbanden! Die Mädchen rauchen, die Jungs werden kleinkriminell. Schule wird abgelehnt. Sex will man möglichst schnell haben. Auf Arbeit hat man keine Lust. Die anständigen oder möglicherweise zu strengen Eltern sind entsetzt. Kommen ihre Kinder vom Weg ab und werden in der Gosse landen? In diesem Genre tummelten sich neue Schauspieler und Filmleute, die eine Fundgrube für die kommenden Kriminalfilme werden sollten. Karin Baal wurde neben Horst Bucholz mit „Die Halbstarken“ zum Top-Star. Ihr Fach war die freche, sündige, widerspenstige, ungebildete, manchmal kleinkriminelle, aber meist doch gutmütige Schülerin, Tänzerin, Prostituierte. Dieses Fach beherrschte Karin Baal glänzend. Eigentlich war sie für „Die toten Augen von London“ fehlbesetzt, ihre Rolle wäre eher die der Fanny Weldon gewesen, wenn man nach dem Bild ginge, das sie bisher abgegeben hatte. Aber nichtsdestotrotz, wir lieben sie auch als die Damsel in Distress Nora Ward, eine Rolle, die ihre außerordentlichen schauspielerischen Fähigkeiten stark unterforderte. Trotzdem gab ihr sündiges Rollenimage der Figur der Nora Ward einen gewissen pikanten Subtext, weil man weiß: „Die kann auch anders!“ In „Der Hund von Blackwood Castle“ konnte die hochattraktive Berlinerin als Schlosserbin Jane Wilson dann eine neue und selbstbewusstere Damsel in Distress geben, die sich mangels geeignetem Liebhaber auch selbst behaupten musste und konnte. Die rebellischen Jugendlichen aus den 1950er Jahren werden erwachsen und sind stark genug, sich jetzt endlich selbst durchzuschlagen und lassen sich von Geisterbahnhorror nicht ins Bockshorn jagen. Nicht einmal, wenn in einer Gewitternacht ein Skelett vor der Schlafzimmertür steht. Karin Baal hatte das Glück, dass zwei ihrer drei Wallace-Filme zu den bekanntesten Klassikern der Serie gehören und sie somit immer eng mit den Wallace-Filmen in Verbindung gebracht wird. Eine reifere Rolle spielt sie schließlich noch in dem etwas unbekannteren Wallace-Film „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ (1971). Ihre besten darstellerischen Leistungen innerhalb des Krimigenres zeigte Karin Baal in Fernsehkrimis: Meiner Meinung nach am überragendsten in der Kommissar-Folge „Fährt der Zug nach Italien?“. Neben zwei Kommissar-Folgen waren ihre Auftritte bei „Derrick“, „Der Alte“ und „Tatort“ immer Höhepunkte innerhalb der Serien. Dass sich die Wallace-Filme für das schlicht zu rettende Mädchen Schauspielerinnen vom Kaliber der Baal geleistet haben, spricht für die darstellerische Qualität der Filme!
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.