Ideenreich und parodistisch inszenierte Edgar-Wallace-Verfilmung, die durch exaltierte Kamera, kreativen Sound und lustvoll agierende Darsteller eine der stilbildenden Adaptionen der Serie wurde.
Der„Zinker“ jagt nicht nur Londons Ganoven die mühevoll ergaunerte Beute ab, sondern tötet bei Bedarf auch mal einen von ihnen mittels eines Pusterohrs, mit dem er gefrorenes Schlangengift in einen Körper katapultieren kann. In der Tierhandlung der senilen und zugleich agilen Mrs. Mulford scheint Inspektor Elford aller Rätsel Lösung finden zu können. Dort stößt er auf eine Reihe sehr skurriler und geheimnisvoller Charaktere, die uns bestens unterhalten.
Der Zinker - Vohrers Wallace-Party
In der Hochphase der deutschen Wallace-Verfilmungen drehte Alfred Vohrer 1963 mit „Der Zinker“ seinen vierten Wallace-Film und legte damit eine Meisterleistung hin, die bisher wenig als solche erkannt und gewürdigt wurde: er erfand eine Filmsprache, die typisch und stilbildend für das Genre der Wallace-Filme wurde. Kamera, Schnitt und Sound wurden perfekter denn je aufeinander getimt. Obskure Kameraeinstellungen - oft mit fantasievollen Detailaufnahmen - , Zooms ran und weg, Reißschwenks, überraschende Schnitte und akustisch-musikalische Untermalungen lieferten diese sehr dichte Filmsprache voller Ideen und Gags und kreierten einen immer leicht ironischen und für Vohrer typisch „hysterischen Stil“, wie der Filmhistoriker Georg Seeßlen einmal schrieb. Das alles deutete sich zwar zugegebenermaßen auch schon in Vohrers ersten drei Wallace-Filmen an, jedoch ist „Der Zinker“ in dieser Hinsicht einen großen Schritt weiter und vollendeter. Ein Meisterwerk! Und das ist gar nicht einmal übertrieben, wenn man bedenkt, dass im kommerziellen Film-Milieu selten so viel Mut und Wahnsinn seitens der Regie investiert wurde - selbst damals nicht. Mit Karl Löb an der Kamera und Peter Thomas am Tonmischpult hatte Vohrer seine perfekte Crew für diese ganz eigene reißerische Filmästhetik beieinander.
Natürlich wurden die handelnden Figuren konsequent bis ins Extrem getrieben. Klaus Kinski erschien selbst zu einem Reptil mutiert. Wortlos kroch er durch die Kellerräume der Tierhandlung und gab sich noch animalischer und damit faszinierender als bisher. Eddi Arents und Siegfried Schürenbergs Komik ging fast ins Surreale (in „Das indische Tuch“ wurde das teilweise noch weiter getrieben. Heinz Drache gibt sich maximal schnoddrig als klarer Felsen im ganzen Wahnsinn des bizarren Treibens und unter all den anderen vielen hervorragenden Darstellern fallen besonders Agnes Windeck und Albert Bessler als beeindruckende Extreme mit stilisierten Darstellungen auf. Und die immer etwas fetischistisch wirkende schwarzhaarige Barbara Rütting macht ganz unmissverständlich klar, dass man mit den Frauen in den 1960er Jahren rechnen muss.
Vohrers „hysterischer Stil“ entspricht Edgar Wallace tatsächlich insofern, als dass Wallace selbst auch an größtmöglicher sensationeller Wirkung seiner Einfälle interessiert war. Natürlich drängt so eine artifizielle Gestaltung in Richtung Comic-Strip, was das Ganze aber 1963 um so moderner wirken ließ! Schließlich gab man sich so nicht der Blöße hin, man könnte die Story ernst nehmen. Ästhetik vor Logik! Und damit ist „Der Zinker“ zwangsläufig auch näher als irgend ein anderer Wallace-Film bisher an dem Genre der Krimikomödie angelangt, wenn man „Das Rätsel der roten Orchidee“ als etwas zu einfachen und etwas zu albernen Versuch in diese Richtung übergeht.
Sicher, vielleicht ist der ältere „Die toten Augen von London“ oder ein ander Vohrer-Film wie „Das indische Tuch“ oder „Der Hexer“ in der Summe sogar ein noch gelungenerer Film - das mag jeder für sich entscheiden. Und es mag natürlich Leute geben, denen dieser überhitzte Stil insgesamt weniger zusagt.
Allerdings muss man Alfred Vohrer anerkennend zugestehen, hier mit „Der Zinker“ endgültig eine Wallace-spezifische Filmsprache gefunden zu haben, die dann zum Maßstab und Richtwert auch für andere Regisseure werden sollte, zumal Horst Wendlandt absolut überzeugt von seinem Hauptregisseur war und deswegen Franz-Josef Gottlieb („Der schwarze Abt“) und Harald Reinl („Der unheimliche Mönch“) auch in diese Richtung drängte - was aber gar nicht unbedingt Sache der beiden Regisseure war. Möglicherweise gefällt auch manch einem Wallace-Fan eher die klassische einfache Filmsprache wie beispielsweise in Reinls „Die Bande des Schreckens“ oder die etwas expressionistisch angehauchte wie in von Bakys „Die seltsame Gräfin“.
Dennoch dürfte sich die Vohrer-Ästhetik für jeden Zuschauer ziemlich schnell als „Look and Sound“ der Wallace-Filme eingebrannt haben, vor allem auch, weil die Vohrer-Schwarzweißfilme alle schon mehrfach in den 1970er Jahren vom ZDF ausgestrahlt wurden und folglich besonders bekannt waren. Erst mit den Farbfilmen hat das dann stilistisch nicht mehr so konsequent hingehauen und noch deutlicher entfernt sind die englisch geprägten Wallace-Filme von Vohrers Stil, alles gerät da so schwer und ernst!
Übrigens finde ich eine oft genannte Schwäche des Films, den Täter schon zu früh und zu leicht erraten zu können, angesichts der tollen Überführungsszenen gar nicht so schlimm. Ich weiß nämlich eh seit Februar 1977, wer der Zinker ist.
Vielleicht lege ich den Reisser gleich mal wieder in den DVD-Player, um mich von den Zooms, Schnitten und Sounds so richtig durchschütteln zu lassen. Dann schmeißt Vohrer mal wieder eine richtige Wallace-Party!
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.