Brav inszenierter Edgar-Wallace-Film, der leidlich versucht, das Genre um Elemente des Gangsterfilms und der Kriminalkomödie zu bereichern. Die Darsteller agieren auf für die Serie ungewöhnlich heterogenem Niveau.
Zwei amerikanische Gangsterbanden kommen nach London, um von reichen Bürgern Geld zu erpressen. Da nicht jeder zahlen will und die Gangster sich selbst in die Quere kommen, muss reichlich gemordet werden. Eine besondere Rolle spielen der alte schwerreiche Mr. Tanner, seine Sekretärin Lilian und sein Neffe Edwin, der ab und zu rote Orchideen verschenkt.
Das Rätsel der roten Orchidee - Eva Kant trifft Dracula
Die englisch-deutsche Co-Produktion „Das Geheimnis der gelben Narzissen“ (1961) war der bis dahin erfolgreichste Edgar-Wallace-Film gewesen, also musste 1962 etwas vergleichbares her. Wieder etwas mit farbigen Blumen, wieder etwas mit Geheimnis und wieder etwas mit Christopher Lee.
Diesmal gibt es ein Haufen neuer Leute vor und hinter der Kamera. Man muss natürlich auch Neues ausprobieren, damit man sich nicht zu sehr wiederholt. Das wusste wohl auch Produzent Horst Wendlandt und der hatte 1962 mehrfach den Mut dazu. Sein größter Coup war die Produktion des Karl-May-Blockbuster „Der Schatz im Silbersee“ und damit der Startpunkt zur außerordentlich erfolgreichen Karl-May-Filmwelle. Gelungen war auch die Einführung eines Pendants zu Joachim Fuchsberger mit Heinz Drache als alternativen Inspektor und nicht zuletzt auch mit Siegfried Schürenberg als zukünftigen Scotland Yard-Chef.
Sagen wir es gleich - leider haben neue Impulse bei „Das Rätsel der roten Orchidee“ nicht so gut funktioniert. Der hervorragende Kameramann Helmuth Ashley hatte schon zwei sehr anständige Kriminalfilme inszeniert und schien ein neuer Regisseur für dieses Genre werden zu können. Allerdings dürfte bei dem sehr betulichem Pater-Brown-Krimi „Das schwarze Schaf“ (1960) in Wirklichkeit Starschauspieler Heinz Rühmann das Zepter in der Hand gehabt haben. Der hervorragende Krimi „Mörderspiel“ (1961), Ashleys vielleicht bester Film, ist ein psychologisches Kammerspiel - stilistisch das Gegenteil von einem Wallace-Krimi. Es fehlte hier für einen Edgar-Wallace-Krimi einfach die Gestaltungsfantasie. Ashley wechselte bald zum Fernsehen und seine Inszenierungen waren auch in Zukunft immer zuverlässig solide, aber zugleich sehr brav. Als ehemaliger Kameramann wird er bei Fernsehkrimireihen wie „Der Kommissar“, „Sonderdezernat K1“ oder „Derick“ oft für die Action-lastigeren Episoden eingesetzt. Nach dem Roman „Gangster in London“ gedreht, gibt es auch im Orchideen-Film einige Action-Möglichkeiten, aus denen aber leider wenig Spannung erfolgt. Dass so etwas auch in Deutschland gedreht werden kann, zeigt uns später zum Beispiel Harald Reinl mit seinem Jerry-Cotton-Trasher „Dynamit in grüner Seide“. Ok, Horst Wendlandt wollte in diesem Fall mal etwas Richtung Kriminalkomödie ausprobieren, aber der teilweise recht schlichte Humor blieb ausgesprochen harmlos.
Wie schon in „Das Geheimnis der gelben Narzissen“ gibt es in „Das Rätsel der roten Orchidee“ weder Rätsel noch Geheimnis. Das ist eigentlich das größte Problem des Films. Man kann sich entspannt vor Leinwand oder Bildschirm zurücklehnen und die Aktionen vorbeiplätschern lassen. Die Fehde zwischen den Gangsterbanden gibt ein paar hübsche parodistische Bilder, im Stil einer Farce werden laufend Erpressungsopfer oder Gangster ermordet und der brave Inspektor schaut ab und zu bei der schönen Marisa Mell vorbei, um dort wie ein ungelenker Pennäler herumzustehen und auf irgendetwas zu warten - bis zum Ende des Films. Pinkas Braun wäre doch für die Mell viel aufregender gewesen! Ein Wunder, dass sie nicht ihn bevorzugt. Zweimal hab ich den Film mit Frauen gesehen, beide Frauen hätten sich sofort für Pinkas Braun entschieden. Die Leidenschaft zwischen den Hauptdarstellern Joachim Fuchsberger und Brigitte Grothum im vorherigen Films „Die seltsame Gräfin“ war um einige Grade intensiver als zwischen Mell und Hoven. Marisa Mell provoziert zwar schnippisch, aber erotische Spannung will sich trotzdem nicht einstellen. Die Mell sollte sich später in „Gefahr: Diabolik!“ besser in Szene setzen können und dann auch tatsächlich den Gangster als Lover bevorzugen.
Aber! Es gibt ja auch noch einen Hauptdarsteller! Christopher Lee war extra aus England angereist, um einen noch genialeren Ermittler als den üblichen Inspektor zu spielen. Was man daran gut finden kann, ist lediglich das Wiedersehen mit dem sympathischen Christopher Lee, der so faszinierend Dracula und andere exzentrische Rollen gespielt hat. Ein Lob für seine Vampir-Darstellung! Doch das ist der falsche Film. Vergessen wir einmal für unseren Film seine Schauspielperformance als Captain Allerman und konzentrieren uns lieber ausschließlich auf sein unglaubliches Sprachtalent, denn er führt uns vor, dass er erstaunlich gut deutsch sprechen kann. Dracula mit Originalstimme! Dafür gibt’s ein Lob!
Alle anderen Schauspieler bleiben brav und souverän in dem Rollenklischee, das wir von ihnen erwarten. Kinski ist vergleichsweise blass und Pinkas Braun am stärksten. Wolfgang Büttner nuanciert viel feiner als Hoven und Lee, Fritz Rasp wiederholt noch ein letztes Mal seine typische Wallace-Rolle, Eric Pohlmann ist Bilderbuch-Gangster, Christiane Nielsen ist Bilderbuch-Blondine und Eddi Arent klamaukt ein bisschen alberner als sonst.
Und so läuft dann alles auf den wenig überraschenden Schluss zu.
Gute Musik, ein guter Drehbuchautor, ein buntes Darstellerensemble und dennoch ein langweiliger Film. Man muss wohl Helmuth Ashley dafür verantwortlich machen. Allerdings war es auch keine leichte Aufgabe, einen Wallace-Film als Gangsterfilmfarce mit ungewohntem Darstellerensemble auf die Beine zu stellen. Insofern kann man die Schwächen des Films auch Wendlandt anlasten. Aber der hat andererseits 1962 mit viel Mut auch so Geniales auf die Beine gestellt, dass man ihm mal ein weniger durchschlagendes Experiment verzeihen muss.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.