Drastisch wird die Edgar-Wallace-Filmreihe mit dem 1967 entstehenden Knaller „Die blaue Hand“. Nahezu ikonographische Bilder und Szenen präsentiert Regisseur Alfred Vohrer uns in dem ersten Film der Reihe, dem Farbe wirklich gut tut: Gewitter in der Nacht, die junge Diana Körner wacht erschreckt auf und kann nicht glauben, das Messer der Krallenhand die Gardinen ihres Schlafzimmerfensters zerreißen - oder: Klaus Kinski flüchtet schweißüberströmt von Hunden verfolgt aus der Irrenanstalt durch den nebligen Wald - oder: der furchteinflößende Irrenarzt Carl Lange setzt die „Beruhigungsspritze“ an oder holt gleich Schlangen zum foltern dazu - oder, oder, oder. Ich könnte noch lange aufzählen. Hier wird Stoff geliefert! Alles, was man an Klischees über Edgar-Wallace-Filme jemals gehört haben könnte, wird hier geboten. Soviel, dass die Eingangssequenz diesmal noch nicht einmal eine Mordszene nötig hat. Kinskis hochgradig verzweifelte Unschuldsbeteuerung vor Gericht ist Schauwert genug und gehört zu den besten Momenten der Serie. Dass es in den folgenden 85 Minuten noch heftig genug kommen wird, ahnen wir anhand des reißerischen Bilderpotpourris , das zu Martin Böttchers extrem treibender Musik eine Programmvorschau zum Film anbietet. Edgar Wallace Fantasie reichte für diese Art von Höhepunkt-Kulminations-Krimi im Jahre 1967 nicht mehr aus. Sein harmloser Roman „The Blue Hand“ (1925) wirkte viel zu viktorianisch; nach evolutionärer Drehbuchfindung setzte sich die vorliegende völlig neue Story von Herbert Reinecker durch und legte eine maßgeschneiderte Handlungsgrundlage, um haarsträubende Aktionen im hysterischen Vohrer-Stil zu zeigen.
Regie, Buch, Kamera und Musik lassen keine Wünsche offen, aber der größte Coup für diesen Film gelang leider nicht, und das ist schließlich auch das Problem des Films.
1966 arbeiteten Alfred Vohrer und der vielleicht talentierteste deutsche Schauspieler Hanns Lothar für den Film „Lange Beine - Lange Finger“ erstmals zusammen und schienen eine künstlerische Ebene gefunden zu haben. Vohrer wollte Hanns Lothar als neuen Inspektor, dessen Besetzung nahezu genial gewesen wäre. Ein so menschlich erscheinender Schauspieler, der schon von seiner Physiognomie für eine Geisterbahnfahrt durch diesen Film völlig überfordert scheinen würde, hätte gerade deswegen all unsere Empathie gehabt und eine perfekte Identifikationsfigur abgegeben, die sich verzweifelt gegen allen Irrsinn gestemmt haben müsste. Lothar beweist so etwas eindrucksvoll in den Fernsehspielen „Flug in Gefahr“ und „Die fünfte Kolonne: Eine Puppe für Klein-Helga“. Harald Leipnitz andererseits als ausgesprochener Spezialist für ambivalente und sensitive Typen hingegen wäre die Rolle des positiv zwielichtigen Dave Emerson absolut auf den Leib geschrieben gewesen. Die beiden hätten den Film darstellerisch ideal tragen können. Aber der arme Hanns Lothar starb tragischerweise kurz vor Beginn der Dreharbeiten.
Produzent Horst Wendlandt konnte Klaus Kinski, der eigentlich schon aus der Serie ausgestiegen war, mit einer großen Doppelrolle als Co-Hauptdarsteller nochmals ködern. Er spielte dann Dave Emerson, Harald Leipnitz dafür den Inspektor, aber beide waren letztendlich nicht ganz glücklich besetzt. Kinski konnte außer in der ersten Szene nicht seinen animalischen Wahnsinn zeigen und Leipnitz nicht seine melancholische Zerrissenheit, dadurch wirkten beide etwas blasser als in manch anderen vergleichbaren Filmen. Klar, beide Schauspieler hat man eigentlich gerne dabei; und natürlich gibt es immer noch Momente, wo sie ganz gut aussehen, wie zum Beispiel Kinski auf der Flucht und Leipnitz in der Irrenanstalt im Dialog mit dem Arzt. Dafür ist Carl Lange Traumbestzung als kultiger Irrenarzt Dr. Albert Mangrove und macht mächtig Eindruck. Und auch die vielen anderen Darsteller wie Diana Körner, Hermann Lenschau, Ilse Steppat, Siegfried Schürenberg oder Albert Bessler sind sehr gut besetzt. Richard Haller als einäugiger Mörder ist nach Adi Berber sogar die furchteinflößendste Gestalt der Serie. Auch mit Kapuze erscheint er mir persönlich unheimlicher als die Mönchsgestalten anderer Filme. Nur Eddi Arent spielt erstmals nicht mehr mit, was man aber angesichts des Filmtempos erstaunlicherweise gar nicht sofort registriert. Sein Part wird etwas von Ilse Pagé als skurrile Scotland Yard-Sekretärin ausgeglichen, die auch in fünf weiteren Filmen noch diese Rolle spielt.
Nach all den drastischen Ereignissen läuft der Film auf einen Schluß zu, der in übermütiger Selbstironie einen Auflösungshöhepunkt nach dem anderen bringt und sich somit selbst fast ad absurdum führt. Das ist ein wenig enttäuschend nach allem, was wir alles mitgemacht haben.
Wie findet man den Film? Inflation der Sensationen oder Höhepunkt der Möglichkeiten? Die Meinungen von Kritikern und Fans gehen mitunter weit auseinander.
Der katholische Filmdienst riet dringend ab, Quentin Tarrantino war begeistert von diesem Film und von Regisseur Alfred Vohrer.
Vergleicht man den früheren Irrenanstalt-Krimi „Die seltsame Gräfin“ mit „Die blaue Hand“, dann haben wir in etwa das Verhältnis eines leicht überdurchschnittlichen Rotweins zu Doppelkorn. Der Rotwein mag vielleicht etwas vornehmer sein, aber der Doppelkorn knallt auf jeden Fall besser!
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.