Lil Dagover - Darstellerin der seltsamen Gräfin Moron - war bereits 1920 weibliche Hauptdarstellerin in dem deutschen Horrorklassiker “Das Cabinet des Dr. Caligari”, einem expressionistischen Film mit Weltgeltung. Rudolf Fernau - Darsteller des Irrenarztes Dr. Tappat - war zur Zeit des Nationalsozialismus der Filmverbrecher par excellence: in “Dr. Crippen an Bord” (1942) spielte er die diabolische Titelrolle. Fritz Rasp - Darsteller des undurchsichtigen Anwalt Cheddle - spielte schon in Fritz Lang-Filmen der 1920er Jahre geisterhafte Schurken und war die einprägsam negative Gestalt im Klassiker “Emil und die Detektive” (1932). Richard Häußler - Darsteller des schmierigen Finanzberater Chesney Praye - spielte in den 1930er und 1940er Jahren schon in mehreren deutschen Kriminalfilmen tragende Rollen, bevor sich dieses Genre hierzulande richtig etabliert hatte. Marianne Hoppe - Darstellerin der Zuchthäuslerin Mary Pinder - ist neben vielen anderen Filmen in den großartigen Melodramen “Der Schritt vom Wege”(1939, Gustaf Gründgens) und “Romanze in Moll” (1943, Helmut Käutner) die leidende Hauptdarstellerin in ihren besten Jahren.
Diese fünf Darstellerinnen und Darsteller aus alten UFA-Zeiten waren nach dem Krieg zunächst eher rar im deutschen Film, der sich in den 1950er Jahren mühsam zu modernisieren versuchte. In den 1960er Jahren wiederum kam eine ganz frische neue Darstellerriege zum Zuge, die einen neuen Zeitgeist repräsentierten und mit Edgar-Wallace- und Karl-May-Filmen einen angenehmen Schwung in die bis dato schwerfällige Filmlandschaft brachten. Dass die seriöse Filmkritik das damals nicht bemerkte, ist nur ein Indikator mehr für die Erstarrtheit der Filmlandschaft. Jazz, Swing und Beat inspirierte die Soundtracks, Selbstironie schenkte den Handlungen eine echte Leichtigkeit und alles, was nach reaktionär roch, war böse. Neue Darsteller der Gegenwart waren zum Beispiel Joachim Fuchsberger, Brigitte Grothum, Klaus Kinski, Eddi Arent oder auch Edith Hancke.
In “Die seltsame Gräfin” prallten 1961 die alte - zeitweise fast verschwundene Darstellerriege - und die neueste Generation aufeinander. Den Alten ist hier nicht zu trauen (wie übrigens in fast allen Edgar-Wallace-Filmen nicht). Die meisten haben Dreck am Stecken und wollen irgendeine Schuld aus der Vergangenheit kaschieren. Genauso war es damals in der Realität. Langsam wuchs in der Gesellschaft ein Bedürfnis, die unselige deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten. Die junge Generation forschte nach Wahrheit und Schuld; die alte Generation wollte alles totschweigen. Wer sich das heutzutage nicht vorstellen kann, sollte sich am besten „Die seltsame Gräfin“ ansehen, da wird diese Stimmungslage exemplarisch vorgeführt.
Allerdings merkt man dem Film an, dass nicht wie sonst bei Edgar Wallace eine jüngere Generation von Nachkriegsregisseuren eine knallige Inszenierung voller Selbstironie abfackelten, sondern mit Josef von Baky ein verhältnismäßig alter Regisseur am Werke war. Der UFA- Mann drehte mit „Die seltsame Gräfin“ seinen letzten Film und nahm die hanebüchen unwahrscheinliche Story ernst. Immerhin ist deswegen der Film auch atmosphärisch recht nahe am Roman, wirkt dadurch aber vergleichsweise brav und etwas verstaubt. Der junge und gewitzte Jürgen Roland war zwar eingesprungen, nachdem von Baky erkrankt war, trotzdem fehlen dem Film die sonst so spaßigen parodistischen Elemente.
Nehmen wir also den Film mal ernst.
Dann muss man sich doch sehr wundern, dass die bösen Tattergreise es allesamt nicht auf die Reihe bekommen, die naive Brigitte Grothum zu ermorden. Da muss schon der irre Kinski herangezogen werden, der als Schauspieler zwar bestechend gut performt, aber als Mörder im Film auch dauernd versagt; Rudolf Fernau glänzt zwar als dessen versoffener Arzt, aber auch seine Mordanschläge gehen fehl; und selbst im Schloss Moron bekommt es keiner auf die Reihe. So viel Unfähigkeit muss bestraft werden, die Tattergreise können abtreten. Und Fritz Rasp als Anwalt Cheddle, der vor Jahren schon den Weg in den Ruhestand verpasst haben muss, bleibt bis zum Ende des Films höflich und verrät das verkalkte Komplott nicht, schließlich ist es ja die seltsam anmutende Gräfin, seine Klientin, um die es sich in erster Linie handelt.
Das sieht alles nicht zuletzt wegen der kompetenten Kameraführung von Richard Angst hervorragend aus, expressionistisch stellenweise, wie beispielsweise im Keller der Irrenanstalt. Und dank Peter Thomas, der hier erstmalig den Soundtrack liefert, klingt es auch sehr anregend. Wenn Blacky Fuchsberger und Brigitte Grothum allmählich die Gefühle füreinander entwickeln, die in einem Wallace-Film nur den jungen Menschen zustehen, dann ertönt dunkel romantisch das Lied „Komm, leg deinen Arm um mich“. Mit Gesang hört man das leider erst in dem Film „Die endlose Nacht“, für den Peter Thomas dieses Thema noch einmal reaktivierte.
„Die seltsame Gräfin“ ist ein großer Edgar-Wallace-Streifen, der die rasante Entwicklung der Serie bis zu den Geisterbahnfahrten der Farbfilme ein wenig abbremst, weil man hier die Story etwas ernster nimmt. Aber wir können großes Vergnügen daran haben, wenn die Gespenster der Vergangenheit wieder auferstehen, um sich von der neuen Generation endgültig zu verabschieden.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.