Jeder Mensch weiß, wie prägend Filme sein können, die man in ganz jungen Jahren sieht. Meinen ersten Edgar-Wallace-Film hab ich mit sechs Jahren 1974 gesehen, und ich war sofort bis zum Äußersten von diesem mir unfassbar sensationell erscheinenden Film begeistert. Das war „Der Hund von Blckwood Castle“- damals noch zwangsläufig nur in Schwarzweiß, da unser erster Farbfernseher erst 1975 kam. Bedauerlicherweise war meine Mutter der Auffassung, dass ich mal lieber ins Bett gehen solle und dieser Film sowieso nichts für mich wäre. Deswegen war die Szene, in der sich Doc Adams und Grimsby im Moor treffen, auch schon die letzte Szene, die ich noch sehen durfte. Meine Leidenschaft für Edgar-Wallace-Filme war allerdings damit entfacht.
Als ich den Film 1977 endlich im Ganzen sah, empfand ich leichte Ernüchterung. Mir erschien doch alles ein klein wenig profaner als beim ersten Sehen, vor allem im Vergleich zu den aufregenden und wirklich schwarzweißen Streifen, die man 1977 auch vierwöchig im ZDF sehen konnte. In den 1980iger kam mir alles noch profaner vor. Ich fühlte mich beim Film sehen manchmal doch mehr an den Drehort auf der Pfaueninsel versetzt als ins imaginäre Moor bei Blackwood Castle. Da hat man es sich ein bisschen leicht gemacht. In „Das Wirtshaus von Dartmoor“ oder in der Kommissar-Folge „Der Moormörder“ sah der Schauplatz Moor erheblich stimmungsvoller aus. Allerdings war das auch wiederum wirklich in Schwarzweiß gedreht worden.
Sehen wir das ganze Filmspektakel mal lieber als Jubiläumsparty mit bunten Bildern und bunter Story. Der 25. Wallace-Film der Rialto in nur acht Jahren war wirklich ein Grund zum Feiern. Und ob die Idee, einen Hund mit tödlichem Biss durchs neblige Moor zu schicken, von Edgar Wallace oder Arthur Conan Doyle stammte, war sowohl Alfred Vohrer als auch Horst Wendlandt herzlich egal, wenn es in den Wallace-Stil zu passen schien. Doch Drehbuchautor Herbert Reinecker war es anscheinend lieber - wie schon bei seinen beiden vorangegangen Drehbüchern - sein Pseudonym Alex Berg vorzuschieben.
Die hanebüchene Geschichte hat dabei eine innere Logik und ist dramaturgisch viel konsequenter als in den drei vorangegangenen Filmen. Und es gibt auch eine attraktive Besetzung: Heinz Drache und Karin Baal in den Hauptrollen, dazu mit Hans Söhnker und Horst Tappert ein alter und ein neuer Filmstar sowie zahlreiche Schauspieler und Schauspierinnen, die in der Wallace-Serie schon beliebt waren, wie Agnes Windeck, Siegfried Schürenberg, Harry Wüstenhagen, Mady Rahl und viele mehr. Da fällt es kaum auf, dass Eddi Arent und Klaus Kinski mittlerweile nicht mehr zum konstanten Darstellerensemble zählten.
Als geheimnisvoller Akteur in den haarsträubenden Ereignissen macht Heinz Drache einen exzellenten Eindruck, Karin Baal besticht als ebenso attraktive wie selbstbewusste Frau und Horst Tappert darf noch richtig schauspielern, bevor er allmählich zum Dauer-Ermittler versteinert. Aber auch die Nebendarsteller bieten beste Performances. Da ist der bald nach dem Film verstorbene Alexander Engel, der statt des ursprünglich eingeplanten Ralf Wolter die Rolle des versoffenen und sarkastischen Dorfarzt so glänzend gespielt hat, dass ihm eigentlich dafür noch ein Karriereschub zugestanden hätte. Otto Stern stellt sein ihm eigenes Charisma natürlicher Autorität dem bösen Kapitän Wilson zur Verfügung und erscheint somit als einer der bösesten Charaktere der Serie. Schließlich muss man unbedingt auch Arthur Binder loben. Der auf tumbe Verbrecher abonnierte Kleindarsteller wird hier mit der größten Filmrolle seines Lebens beschenkt und füllt sie perfekt aus. Als einäugiger Diener Grimsby ist er das hässliche Aushängeschild des Verbrechens, ein Faktotum, das wir bei den niedersten Aufgaben der Durchführung perfider Morde begleiten dürfen.
Wir sehen hier einen Film, in dem ständig bis fast schon inflationär etwas drastisches passiert. In Farbe werden Erinnerungen an ältere Wallace-Filme jetzt zu einem fast psychedelischen Jubiläumstrip zusammengemixt. Und dafür muss Peter Thomas die Musik schreiben, denn der überhitzte Wahnsinn des Alfred-Vohrer-Films mit all den reißerischen Kamerafahrten, Einstellungen beobachtender Augen und spektakulären Ausleuchtungen braucht einen knalligen Sound, den nur der Berliner Soundexperte liefern kann. Mit kreischenden Trompeten auf wilden Funkbeats, die sich nicht hinter einem James Brown verstecken müssen, wird die Filmparty zu einem sanguinischem Vergnügen.
Trotz allem, nach 25 Rialto-Filmen zeigen sich auch schon Erkrankungen der in die Jahre gekommenen Serie. Man dreht preisgünstig, was den Zuschauern nicht immer verborgen bleibt; man vertraut nicht mehr auf Edgar Wallace‘ Stoffideen und Alfred Vohrer pumpt die bewährte Stilistik so extrem hoch, wie es nur geht. Immer mehr und mehr. Es erinnert an den Turmbau zu Babel, und wir sind inzwischen schon schwindelerregend hoch. Schon bald nach diesem Jubiläumsfilm kann nur noch der Zusammenbruch kommen. Aber das ist noch nicht jetzt, wir leben im heute, also feiern wir den Moment.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.