Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1962)

Keine Kulturpflege, aber grandioser Pulp

Der sechste Mabuse-Film, oder der dritte Mabuse-Film in den 1960er Jahren von Brauner produziert, oder der zweite Mabuse-Film von Harald Reinl ist der erste, der mit dem Mabuse-Stoff eigentlich gar nichts mehr anfangen wollte. Eigentlich wusste Produzent Artur Brauner, dass er einen der wenigen großen deutschen Stoffe in den Händen hielt, einen, den man pflegen oder bewahren sollte. Seinen Produzentenjob hat er stets in Interviews und Talks als kulturelle Tätigkeit mit Verantwortungsbewusstsein dargestellt. Um so schlimmer, dass ausgerechnet er selbst die infantile Idee hatte, James Wales’ Gruselklassiker „The invisible man“ (1933) mit dem Namen Mabuse zu verquicken. Der tricktechnische Schauwert, der von sich in der Luft bewegenden Gegenständen ausging, konnte das Publikum 1933 noch in Erstaunen versetzen; 1962 erreichte man damit eher jenes naive Publikum, das sich erst einmal an der Altersbegrenzung von FSK16 vorbeischmuggeln musste, um sich dann an solchen Sensationen zu ergötzen, die Brauner servierte. Alles kein Problem, auch ich hatte damals Vergnügen an Filmen, die laut FSK gar nicht für mein Alter gedacht waren. Natürlich war immer trivialer Schund, was vierzehnjährige Jungs unbedingt sehen wollten. Warum auch nicht. Doch im vorliegenden Fall kann man nicht umhin, Brauner des Ausverkaufs zu verzichten.

„Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“ hat eine sehr einfache Story. In einem Theater mit Grand Guignol – Aufführungen hat sich Dr. Mabuse mit vielen Helfershelfern eingenistet, die der böse Superverbrecher unsichtbar machen kann und die so ungeahnte Möglichkeiten für Verbrechen haben. Aber auch der optisch entstellte Erfinder dieser bahnbrechenden naturwissenschaftlichen Möglichkeiten macht sich unsichtbar, weil er in den weiblichen Star des Theaters unsterblich verliebt ist und ihr ständig nahe sein will. Ein FBI-Mann kann aber alle Probleme lösen und verdient sich somit selbst das attraktive Objekt aller Begierden. Mehr Groschenheft-Plot geht eigentlich gar nicht und wegen des überbordenden Ausmaß an Pulp liegt die Vermutung nahe, dass dieser Film eine totale Katastrophe geworden ist.

Ist er aber nicht. Wenn man den ganzen Quatsch generös hinnimmt, dann bekommt man doch einen handwerklich ziemlich beeindruckenden Kracher serviert. Harald Reinl kann es, zu ihm hätte es keine Alternative unter deutschen Regisseuren gegeben. Selbst der ursprünglich anvisierte Alfred Vohrer, den ich sehr schätze, wäre hier womöglich der Gefahr erlegen, sich im Trash zu verlieren. Reinl ist in der Lage, saubere Action auf einem höheren Niveau als in den beiden vorangegangenen Mabuse-Filmen abzuliefern. Und das ist der Schauwert dieses Films. Hier zeigt sich Reinls besondere Stärke, die in seinen späteren Jerry-Cotton-Filmen und in gewissem Maße in den Karl-May-Filmen besser zum Glanz kommt als in seinen 1962/1963 gedrehten Wallace-Epigonen. Dazu hat er ein maßgeschneidertes Darstellerensemble zur Verfügung. Lex Barker ist der körperlich präsente Held, dem alle Pulp schädigende Theater-Ambition abgeht, ähnlich wie Jerry-Cotton-Darsteller George Nader. Und dieser Pulp ist braucht solche Männer, aber symptomatischerweise keine Frauen, mit Ausnahme einer zu rettenden Superschönheit, die nichts anderes als perfekt chargieren muss. Karin Dor empfiehlt sich hier einmal mehr als die erste Adresse für dieses Fach und wird deswegen in den kommenden Jahren reichlich beschäftigt sein. Dass sie hier auch als Filmfigur das Ideal einer begehrenswerten Chargin ist, treibt das auf die ironische Spitze. 

Für die weiteren Rollen ist man auf sehr erfahrene Spezialisten angewiesen, die ohne Umschweife liefern können, was gebraucht wird. Siegfried Lowitz gelingt es, sich als Kommissar nicht nur respektabel von seinem großen Vorgänger Gert Fröbe abzusetzen, sondern auch einen deutlichen Kontrast zu Lex Barker zu bilden. Als verbrecherischer Handlanger im Clownskostüm brilliert Werner Peters, als entstellter Wissenschaftler Rudolf Fernau. Den relativ unbekannten Berliner Schauspieler Kurt Pieritz sieht man als Nebendarsteller sehr häufig in Kriminalfilmen der 1960er Jahre. Hier hat er als Wissenschaftler und maskierter Mabuse seine vielleicht größte Wirkung im Genre. Auf Wolfgang Preiss als originaler Dr. Mabuse muss man bis zum Schluss des Spektakels warten und wird dafür aber alle Erwartungen übertreffend belohnt. Die extreme Performance dürfte wohl das jugendliche Publikum der Zeit bis in die nächtlichen Träume verfolgt haben. Selten sonst halte ich die damalige FSK16-Angabe für durchaus angemessen. Für den obligatorischen Sidekick beschert Walo Lüönd einige Gags, die mich sogar heutzutage noch schmunzeln ließen. 

Dass wir uns mit „Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“ mittlerweile in einem Pulp-Serial befinden, wird auch durch Peter Sandloffs Soundtrack insofern unterstrichen, als dass er Themen aus „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ leitmotivisch verwendet. So fühlen wir uns im Genre schnell zuhause. Seine Musik ist schwerer und weitgehend frei von parodistischen Elementen, wodurch die Dr. Mabuse-Filme im Gegensatz zu Vohrers selbstironischen Wallace-Filmen einen härteren Eindruck erwecken.

Ob die Filmkonsumenten mehr über den Verlust des echten Mabuse-Mythos klagen oder grandiosen Pulp feiern, bleibt jedem selbst überlassen. Ich bin hin- und hergerissen.

Mit Lex Barker, Karin Dor, Siegfried Lowitz, Wolfgang Preiss, Rudolf Fernau, Werner Peters

B: Ladislas Fodor K: E. W. Kalinke  M: Peter Sandloff  Regie: Harald Reinl P: CCC/ Artur Brauner

Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.