Statt Haute Cuisine beste bürgerliche Küche
Im Jahre 1963 befindet sich die „harte Welle“ von deutschen Kriminalfilmen auf dem Höhepunkt. Es werden fast ein Dutzend Filme im Fahrwasser der Edgar-Wallace-Filme produziert. Die besten Filme sind durchaus innovativ, die schwächsten epigonal und dann gibt es noch die Filme von Harald Reinl, die weder innovativ noch schwach sind. Seine Stärke im Gegensatz zu vielen hochdotierten deutschen Regisseuren ist gerade die, sich unbekümmert ohne jeden Anflug von Selbstzermürbung auf den Unterhaltungsstoff einzulassen, während die namhaften deutschen Regie-Meister wie Staudte, Käutner, Wicki und Hoffmann allesamt in die Krise schlittern. Die „seriöse“ Filmkritik der Zeit kann nicht verstehen, dass es einen befreienden Wert hat, wenn da jemand einfach Lust auf Film hat, auf Bilder und auf Action. Reinl kann es, eigentlich egal, in welchem Genre. Im Moment sind gerade Kriminalfilme an der Tagesordnung, also liefert Reinl gewissenhaft und unprätentiös - allein 1962/63 fünf Krimis. Haute Cuisine wird nicht aufgetischt, die hat aber auch niemand verlangt. Manchmal will man nichts anderes als bürgerliche Küche, die soll aber mit bester Erfahrung zubereitet sein.
Dafür ist „Die weiße Spinne“ ein typisches Beispiel. Es wird jede Menge Pulp geliefert. Die Turbulenzen verlangen den Darstellern mehr körperliche Aktion ab, als es bei jedem anderen Regisseur des Genres üblich ist. Wo sonst im deutschen Krimi bekommt man eine so heftige Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse aufgetischt wie im Finale dieses Streifens? Harald Reinl steht für sein unbefangenes Unterhaltungskino voller Schauwerte längst der exakt adäquate Stamm an Darstellern zur Verfügung. Joachim Fuchsberger glänzt einmal mehr als Hauptdarsteller, der alle Steifheit der 1950er Jahre hinter sich lässt. Reinls Ehefrau Karin Dor ist sowieso die perfekte Besetzung für einen Krimi und der höchst wandelbare Dieter Eppler darf in unzähligen Masken kleine Kabinettstückchen anbieten. Als Falconetti schließlich gibt der fast vergessene und unterschätzte Schauspieler einen beeindruckend erschreckenden Bösewicht ab, dessen Intensität in verwandten Filmen seinesgleichen sucht. Werner Peters und Horst Frank gesellen sich als Unholde niederen Ranges dazu und bereichern selbstverständlich den Film noch einmal zusätzlich. Wie schade, dass Horst Frank nicht häufiger in den Filmen von Wallace, Mabuse und anderen zu sehen war. Sein Charisma hätte selbst einem Klaus Kinski das Wasser reichen können. Immerhin taucht er noch einmal in dem letzten Weinert-Wilton-Krimi „Das Geheimnis der chinesischen Nelke“ (1964) auf. Dass es mit Chris Howland den üblichen Sidekick gibt, nehmen wir mal nobel mit dem Wissen hin, dass der Film viele Jahrzehnte alt ist und Humor immer ein geringes Verfallsdatum hat.
Die Story bietet eine interessante Ausgangssituation: Ein Mann verbrennt im Auto und es bleibt für Scotland Yard und Ehefrau Karin Dor unklar, ob es sich um Unfall, Mord oder Suizid handelt. Sein Maskottchen, eine kleine weiße Spinne an seinem Schlüsselbund, wird der Witwe zum Horror: das Maskottchen taucht überraschend immer wieder auf, wo sie sich auch befindet. Lebt der Gatte mit dubiosen Verbindungen zur Unterwelt etwa noch? Natürlich wollte weder Autor Louis Weinert-Wilton noch ein deutscher Krimi zu der Zeit solch eine taugliche Geschichte akribisch ausarbeiten. Stattdessen wurde der weitere Plot mit viel Pulp-Material angefüttert: düstere Gestalten, ein unseriöses Nachtlokal, ein geheimes Mördersyndikat und nicht zuletzt ein Verwandlungskünstler als Drahtzieher allen Schreckens. Da Masken zu dieser Zeit höchstbeliebt waren („Der Hexer“, „Dr. Mabuse“, „Fantomas“, sogar James Bond), lässt es sich selbst Scotland Yard nicht lumpen und bedient sich auch der angesagten Tricks. Am Ende ist es nicht so schlimm, dass die Auflösungen wenig Knalleffekt haben, denn wir Zuschauer sind hinreichend mit Action unterhalten worden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Krimi der gelungenste der vier Weinert-Wilton-Verfilmungen ist: Gute Darsteller, routinierte Regie, zwar umständliche, aber doch brauchbare Geschichte mit allen Möglichkeiten zum Pulp - dazu noch Musik von Peter Thomas, was sowieso schon für sich spricht. Aber irgendetwas an diesem Film wirkt doch etwas bescheidener als wir es von Wallace-Filmen gewohnt sind. Vielleicht liegt das an Ausstattung, Kamera, überhaupt einem knapperen Budget? Dieser Film wurde nicht von Horst Wendlandts Rialto produziert, sondern von Gero Wecker, dessen Name nicht gerade für hochklassige Filme stand. Immerhin hatte er Reinl als Regisseur und wir dadurch einen weiteren unterhaltsamen Krimi.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.