Sehr stimmungsvolle Edgar-Wallace-Verfilmung, die sowohl auf sadistische Momente wie auch auf parodistische Elemente verzichtet. Die mittlerweile altmodische Romantik der etwas umständlichen Geschichte wird hier mustergültig und fesselnd wiedergeben.
Jane Leith heiratet nur auf Wunsch ihres Onkels den geheimnisvollen Millionär Peter Clifton, der in Verdacht gerät, der sogenannte „Gerissene“, ein gesuchter Banknotenfälscher, zu sein. Die Hochzeitsreise in das düstere Schloß Longford Manor bringt für das junge Paar eher unheimliche als romantische Erlebnisse. Immer deutlicher zeigt sich, dass es ein Netz aus vielen Menschen um sie herum gibt, die alle Teil einer riesigen Intrige sind.
Der Fälscher von London - ein Geschenk für die Gattin
Wie schön atmosphärisch hier alles ist! Und das weiß man mit zunehmendem Alter immer mehr zu schätzen. Waren wir jungen Wallace-Fans uns 1977 auf dem Schulhof noch einig, dass dieser Film, der am letzten Samstag um 23.05 Uhr im ZDF ausgestrahlt worden war, wegen zu weniger und aufsehenerregender Morde kein Highlight der Serie sein könne, stellt sich mittlerweile ein anderer Eindruck dar. Nun gut, das Letzte, das sich zehnjährige Jungen von einem Film erhoffen, ist eine problematische Ehegeschichte. Und dafür hatte man die Eltern so mühevoll überreden müssen, das Spätprogramm noch sehen zu dürfen.
Aber jetzt zum Thema.
Zwischen knalligen Vohrer-Werken und diversen sonstigen Experimenten versteckt sich ein vergleichsweise ruhiger und stimmiger Wallace-Krimi, der der Romanvorlage „Der Banknotenfälscher“ sehr nahe kam. 1961 gab es schon einige spektakuläre Angebote der Wallace-Reihe: einen parodistischen Film, einen effektvollen Gruselklassiker und eine britische Co-Produktion, übrigens die erste britisch-deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg. Harald Reinl inszenierte diesen Klassiker anders als die Vorgängerfilme und auch anders als seine vielen Kriminalfilme zwischen 1959 und 1963: es gab weniger Morde, dafür viel mehr Atmosphäre; weniger Action, dafür mehr Einblick in die Psyche der Figuren; keine parodistischen Elemente, dafür eine geschickt erzählte Story! Und das will etwas heißen, denn gerade der Arnold-Fanck-Schüler Harald Reinl ist der Spezialist für actionreiche B-Blockbuster im deutschsprachigen Kino und weniger gefeiert für psychologisch nuancierte Schauspieldramen. Fast könnte man vermuten, dass er mit diesem Film seiner Ehefrau und Hauptdarstellerin Karin Dor ein Geschenk macht, denn sie steht mehr als in jedem anderen ihrer Kriminalfilme im Focus der Geschichte und hat den Film zu tragen.
Die ausgezeichnete Kamera (Karl Löb) und der ebenso ausgezeichnete Soundtrack (erstmals Martin Böttcher) unterstützen Reinl dabei optimal. Auch die Kulissen, vor allem die bedrückend überladene Einrichtung von Longford Manor, machen vor Karl Löbs Linse mächtig Eindruck.
Die Geschichte wird dabei so logisch und stringent erzählt wie selten: nachdem uns die handelnden Personen auf dem Pferderennen in Ascot vorgestellt worden sind, sehen wir statt eines ersten Mordes die Hochzeit zwischen Millionär Peter Clifton (Hellmut Lange) und der attraktiven Jane Leith (Karin Dor). Und diese Trauungsszene in der Kirche ist mindestens so unheimlich wie irgendeine Mordszene. Nahaufnahmen des verstörten Hochzeitspaares, pompös einschüchternde Orgelmusik, die verfremdete Stimme eines Geistlichen, den man nicht sieht und ein höchst gruseliger Organist liefern eine gespenstische Kulisse, die uns klar macht, dass es in diesem Film um eben diese geschlossene Ehe gehen wird und wir ahnen natürlich, dass das alles nicht unproblematisch werden sollte.
In den Romanen von Edgar Wallace gibt es oft Geheimorganisationen um den Bösewicht, die aber gar nicht explizit in Erscheinung treten, sondern im Hintergrund einen bedrohlichen Boden für das Geschehen bilden. So auch hier im Film: man erfährt nicht, wie viele Personen eigentlich zu der Organisation des “Gerissenen” gehören; und selbst wenn man einige sieht - wie den Organisten oder den mysteriösen Blonberg - ,bleibt im Dunkel, welche Funktion diese Gestalten eigentlich haben. Man hört beunruhigenderweise nur, dass diese Herrschaften wohl geheime Feste im düsteren Langford Manor feiern. Das gibt der gesamten Geschichte eine prägende Atmosphäre des Geheimnisvollen.
Überhaupt sind in der aristokratischen Welt mit all ihrem höher und erbärmlich niedrig rangigem Personal nahe an Kunst, Wahnsinn und dem Thema Geld: Der künstlerisch begabte Millionenerbe mit Furcht vor Geisteskrankheit, der gierige und Kunst sammelnde Psychiater, der verarmte und jetzt künstlerisch tätige Onkel, der manische und Geld verprassende Verstoßende und dessen hysterische Mutter. In dieser morbiden Welt muss sich Karin Dor als Jane Leith zurechtfinden. Ihr dabei zuzusehen ist es, was uns Zuschauern beste Unterhaltung liefert.
Der äußerste Gegensatz zu Geld, Wahnsinn, Aristokratie und Kunst ist Siegried Lowitz als proletarischer Chefinspektor Bourke. Dieser Mann lässt seine Sinne nicht von Geld und aristokratischem Flair vernebeln, er sieht lieber Fußball als Pferderennen und denkt einfach und folgerichtig. Natürlich ist er den Publikum von Anfang an sympathisch, schließlich denkt er ja wie wir. Siegried Lowitz kann insbesondere in dieser Rolle bei Wallace-Fans gut punkten. Ulrich Beiger als schmieriger und ehrgeiziger Inspektor Rouper neigt eher der anderen Seite zu und wirkt wie immer maximal unsympathisch.
Es spricht für die Qualität der Wallace-Filme, dass alle Rollen mit Spitzenschauspielern von Robert Graf bis Victor de Kowa besetzt sind. Hellmut Lange hätte sogar das Zeug gehabt, neben Drache und Fuchsberger zu einem gleichwertigen Hauptdarsteller der Serie werden zu können - wie er übrigens auch in einigen Kriminalfernsehspielen in den 1960er Jahren beweist.
Dieser sorgfältige und geschickt gemachte Krimi ist ein Kleinod zwischen den anderen Krimi-Knallern jener Zeit. Jane Leith bekommt vom Gatten Peter Clifton vielleicht Millionen geschenkt; Karin Dor bekommt von ihrem Ehemann Harald Reinl mit einem wunderbaren Film das beste Forum, das man als Miss Krimi haben kann.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.