„Sette orchidee macchiate di rosso“ („Sieben rot befleckte Orchideen“) , so der viel geschmackvollere italienische Titel, ist ein Giallo, wie er im Buche steht.
Schöne weibliche Mordopfer, ein nicht zu fassender Mörder mit schwarz bekleideten Lederhandschuhen, grausame Mordmethoden, ultrageschmackvolle Musik, ratlose Polizei, obskure Zeugen, Geistliche und attraktive Hauptpersonen, die unerklärlicherweise in die Sache hineingezogen werden.
Ich sage es gleich: Der spätere Kannibalen- und Zombiefilm-Spezialist Umberto Lenzi inszenierte einen Giallo, der zwar nicht mit so hohen ästhetischen Qualitäten glänzt wie ein Dario Argento Giallo, aber durchaus ansprechend zu unterhalten weiß. Einfach und gut - könnte man auch sagen. Und das ist manchmal besser, als viel gewollt und einiges dabei total verdasselt.
Mit Marina Malfatti, Petra Schürmann, Rosella Falk und Marisa Mell werden uns absolute High-Class-Mordopfer präsentiert, von denen viele andere behandschuhte Giallo-Mörder nur träumen können.
Pier Paolo Capponi als Inspector Vismara ist uns als Superintendent Spini aus Argentis „Die neunschwänzige Katze“ bestens vertraut und herzlich willkommen. Antonio Sabato als manchmal etwas verdächtige Figur weiß auch außerhalb des Italowestern zu überzeugen. Und die extra aus Bayern angereiste Hauptdarstellerin Uschi Glas macht einen immerhin soliden Job, selbst wenn sie dabei eher eine ZDF-Affinität ausstrahlt und nicht recht in die freizügige Ästhetik des italienischen Genre-Kinos passen will. Doch besonders in den spannenden Schlussszenen kann sie doch noch ganz prima punkten.
Natürlich verstehen wir die Handlungsstruktur sehr schnell und das ist vielleicht eine Schwäche des Films. Andererseits wissen wir aber auch, dass wir zuverlässig einen echten Giallo vorgesetzt bekommen, was heißt, dass wir Zeuge werden dürfen, wie sich der Mörder an sieben Schönheiten abarbeiten muss. Ein Regisseur wie Umberto Lenzi hat natürlich genügend makabre Phantasie, um uns überraschend perfide Grausamkeiten anzubieten. So werden wir Zeuge von bestialischen Morden, die in ihrer Härte damals bei Edgar Wallace nicht denkbar gewesen wären, aber trotzdem sind wir Gott sei Dank noch in den frühen 1970er Jahren, wo sich der Meisterregisseur nicht so völlig hemmungslos seinen blutigen Ideen hingab wie es einige Jahre später der Fall war. Zwischen den Morden bekommen wir geboten, was wir von einem italienischen Film erwarten. Die Spuren führen nämlich einerseits in hedonistische Hippieszenerien, andererseits ins klerikale Milieu. Kein italienischer Film ohne Priester! Alles schwankt wie in vielen anderen Giallos auch zwischen entfesselter Sexualität und versteinerter, wenn nicht gar brutaler Religion. Solch diametrale Pole gebärt wohl am vortrefflichsten ein über Jahrhunderte durch Katholizismus geprägtes Land. Extremer Kampf zwischen Es und Über-Ich - wie Psychiater Freud sagen würde. Und bevor die ganze Chose unappetitlich werden könnte, wird den niederen Gelüsten eine elaborierte Ästhetik entgegengesetzt. Oder anders gesagt, die Brutalitäten werden äußerst geschmackvoll serviert. Auf Stil legt man in Italien bekanntlich ja besonderen Wert.
Auch in diesem Film: Untermalt wird das mysteriöse Treiben nämlich von einem exzellenten Score des italienischen Meisterkomponisten Riz Ortolani, dessen einziges Pech es war, dass es im selben Lande auch noch einen Ennio Morricone gab. Die Musik hat exakt den aparten Sound, den man sich für einen Giallo wünscht: Misteriös melancholisches Titelthema, perfekt treibende Rhythmusgruppe und kreative Gitarrensounds. Eine Band wie Portishead könnte fast neidisch werden.
Was hat das alles mit Edgar Wallace zu tun? Rein gar nichts - außer, dass der Film im deutschsprachigen Raum aus kommerziellen Gründen als Wallace-Film vermarktet wurde, was in diesem Fall besonders dreister Etikettenschwindel war.
Während Edgar Wallace in seinen Romanen aus der Kolonialzeit am liebsten geldgeile Verbrecher - Ausländer bevorzugt - umbringen ließ, die deutschen Wallace-Filme der Nachkriegszeit immer wieder alte, hässliche Respektspersonen ermorden ließen, so brachte man im katholischen Italien gerne mal einen Priester auf die Giallo-Leinwand, der anziehende und freizügige Frauen tötet. Jedem seine Psyche.
Deshalb bewertet man am besten bei all diesen Filmen nur die Ästhetik und das gilt ganz besonders für Giallos. „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“ gehört zwar nicht in den Olymp des Genres, ist aber besser als der Schnitt. Den Film kann man sich getrost anschauen, wenn man mal in italienischer Stimmung sein sollte. Dazu empfehle ich Pasta Diabolo und einen trockenen Chianti.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.