Eine wegweisende Story wird ausgebremst
Was hätte das für einen Krimi geben können! Zunächst einmal hat Ladislas Fodor eine Story erfunden, die auch Basis für den 1968 gedrehten Rialto-Wallace-Film „Der Mann mit dem Glasauge“ war. Dieser Titel war ursprünglich sogar für den vorliegenden Film geplant. Die Story hat große Modell-Qualität, die als Basis für einen Kriminalfilm wiederholt tauglich ist und gerade für einen Giallo beste Möglichkeiten bietet. Die letzten beiden Wallace-Filme, besonders „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“, sind eine Variation dieses Bauprinzips. Die Handlung: Eine Person (oder eine andere ihr sehr nahe stehende Person), der in der Vergangenheit schlimmes angetan wurde, nimmt Rache an den Tätern ( im Giallo reicht bisweilen bereits der Verdacht aus, es könnte sich um einen Täter handeln ). Und so kann fleißig losgemordet werden, die Anzahl der Opfer kann man beliebig hoch ansetzen, je nachdem, wieviel Zeit der Film dafür hat und wie viele Darsteller der Produzent zur Verfügung stellt. Außerdem darf der in der Vergangenheit gedemütigte Täter aufgrund seines persönlichen Motivs einen lustvollen Sadismus zelebrieren, sei es durch erschreckende Maskerade oder durch besonders grausames Mordhandwerk, woraus ja die Giallos gerne mit liebevoller Akribie ein Ästhetik-Fest machten. Und alles bleibt logischerweise für Polizei und Zuschauer beunruhigend undurchsichtig, weil ja die Mordopfer selbst Dreck am Stecken haben und deswegen nichts zur Aufklärung beitragen. Und wenn dann am Ende die Aufklärung kommt, kann man dem Publikum einen herrlich psychotischen Mörder präsentieren. Dieses exemplarische Baukasten-Prinzip bot den Giallos eine frappierend simple Basis, auf der man alle filmischen Fantasien austoben konnte. Aber auch schon für den alten Edgar Wallace war in seinen Romanen die Rache des Gedemütigten immer wieder charakteristisch.
„Das Phantom von Soho“ stellt dem Mörder (und uns Zuschauern) ein großartiges Opferensemble zur Verfügung. Selbstverständlich hat dabei jedes Mordopfer die Möglichkeit, seine individuelle Widerlichkeit genussvoll zur Schau zu stellen. Als erstes muss man die legendäre Elisabeth Flickenschildt nennen, die hier einmal mehr allein schon dank ihres Charisma eine divaeske Barchefin gibt, die interessanterweise selbst geschunden auf den Rollstuhl angewiesen ist. Solche Figuren sorgen in Wallace-Filmen für mächtig Spaß. Ihr zur Seite gestellt wird der immer vortreffliche Werner Peters als devoter und ängstlicher Modearzt mit Quacksalber-Attitüde. Hans Nielsen gibt den noblen Aristokraten mit Faible für besonders junge Frauen. Interessant ist auch die weibliche Besetzung. Die emanzipierte Barbara Rütting spielt gerne kühl intellektuelle Frauen mit Selbstbewusstsein und ist ein echter Gegenpart zu den Männern. Dieser Typ macht sich in Wallace-Filmen ziemlich gut (so auch schon in „Der Zinker“ und wenig später in „Neues vom Hexer“). Das Problem, das die „damsel in distress“ eigentlich eine öde Rolle ist, war damit behoben. Helga Sommerfeld als zweite Frauenfigur übernimmt das ein wenig, doch ihre Figur ist auch nicht mehr das unschuldige Mädchen aus gutbürgerlichstem Milieu, sondern eine exploitative Erscheinung von hocherotischer Anziehungskraft, die ständig nur im Bikini bekleidet als Fotografin in der Spelunke unterwegs ist. Eine damals sexuelle Provokation, die mit zuckersüßer Unschuld entschuldigt wird. Brigitte Bardot lässt grüßen.
Solch ein in die Zukunft weisendes Ensemble hätte einen coolen Charming Hero vertragen. Dieter Borsche kann zwar alles, aber gerade das ist am wenigsten sein Fach. Der dubiose Scotland Yard-Chef, den Hans Söhnker natürlich auch mit Kompetenz darstellt, wäre sehr viel eher Borsches Fach gewesen. Immerhin ist er so gut, dass er uns fast vergessen lässt, fehlbesetzt zu sein. Als der Inspektor in körperliche Auseinandersetzungen geriet, tat er mir aufrichtig leid, traut man dem alten steifen Herrn doch eher die Polizeiarbeit mit dem Kopf als mit den Fäusten zu. Obwohl bei dieser Story-Vorlage viel Platz für eine fantasievolle Umsetzung mit viel Humor gewesen wäre, bleibt dieser beschränkt auf den armen Peter Vogel, der als nimmermüder Sidekick dauernd Kalauer anbieten muss und sich in dieser Funktion mit der etablierten Kultfigur von Eddi Arent messen lassen muss.
In keinem seiner Filme orientiert sich Regisseur Franz-Josef Gottlieb so auffällig an Alfred Vohrers Edgar-Wallace-Filmen wie in „Das Phantom von Soho“, was insbesondere exzentrische Kameraeinstellungen angeht. Aber das einfache „auch so machen“ ersetzt nicht die fantasievolle und ironische Gestaltungskraft seines Kollegen. Espirit und Ideen bleiben in der hausbackenen Machart Mangelware. Daran krankt der Film bedauerlicherweise. Immerhin hat Gottlieb hier nicht den Fehler aus „Der schwarze Abt“ wiederholt, die Schreckensgestalt so inflationär oft zu zeigen, dass dieser ein profaner alter Bekannter des Zuschauers wird. Charme hingegen versprüht die Musik von Martin Böttcher, der zwischen Karl-May-Filmen einen Genre-getreuen Score hinlegt. Darin ist ein kultigen Soho-Song enthält, der dem Spektakel eine ganz eigene Farbe gibt.
Alle Möglichkeiten, einen wegweisenden Klassiker hinzulegen, werden durch unglückliche Fehlbesetzung, aber viel mehr noch durch die uninspirierte Inszenierung gebremst. Aber ich will nicht zu streng sein, im Fließband-Serien-Kino kann man auch nicht einen Klassiker nach dem anderen erwarten. „Das Phantom von Soho“ bietet genügend Entertainment, um ihn mal wieder in den DVD-Player zu schieben.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.