Die deutschen Edgar-Wallace-Filme der 1960iger Jahre attackierten mit Vorliebe Autoritäten. In die Jahre gekommene Aristokraten, Schloßbesitzer, Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte oder Heimleiter sollte man immer mit äußerster Vorsicht begegnen - meist waren sie Verbrecher mit finstersten Absichten, im Auftreten immer ungelenk, konservativ und scheinbar seriös. Ihre Autorität und gesellschaftliche Stellung war stets gut geeignet, empört jeden Verdacht von sich zu weisen.
Was es im Negativen gab, wurde mit der Figur des Scotland Yard Chefs Sir John auch im Positiven eingeführt. War der alte Yard-Chef Sir Archibald (E.F. Fürbringer) noch eine ernstzunehmende Autorität ( aber in „Der rote Kreis“ (1959) schon ein bisschen angekratzt) , so war ab „Die Tür mit den sieben Schlössern“ (1962) die Karikatur des Scotland-Yard-Chefs die einzige Figur, die in den folgenden Filmen wiederkehrend auftrat.
Der ideale Schauspieler dafür war Siegfried Schürenberg, der in den vergangenen zehn Jahren immer wieder und oftmals etwas parodistisch Respektspersonen dargestellt hatte.
Besonders erwähnenswert ist seine Darstellung des Oberstleutnant in dem bekannten Antikriegsfilm „Die Brücke“ (1959), die trotz des ernsthaften Sujet recht parodistisch geraten ist.
In den Edgar-Wallace-Filmen möchte Sir John einerseits größtmögliche Autorität seinem untergebenen Inspektor gegenüber ausstrahlen und ist andererseits völlig hilflos bei der Aufklärung von Verbrechen ohne dessen Kompetenz. Dadurch wirkt sein konservatives und seniles Auftreten besonders lächerlich, es zeigt nur sein Bemühen, einen Status aufrechtzuerhalten, der sich längst überlebt hat. Die Inspektoren reagieren auf ihre eigene Weise: Fuchsberger und Leipnitz übersehen das charmant und lassen Sir John reden; Drache und Stoll geben freches Kontra und Sir John übersieht das bei diesen wiederum und lässt die Inspektoren machen. Trifft Sir John auf Eddi Arent, so ist er stets von Arents letztendlich anarchistischen Figur verwirrt und „versteht die Welt nicht mehr“. Frauen gegenüber gibt er sich sehr onkelig lüstern - natürlich ohne Erfolg zu haben oder gar zu erwarten. Verdächtige werden von ihm nach ihrem Status beurteilt. So schließt er Anwalt Maurice Messer als Verdächtigen in „Der Hexer“ (1964) deswegen aus, weil der Mitglied im Golfclub sei. Die Frau des Hexers behandelt er allein wegen ihrer aristokratischen Ausstrahlung als „Dame“.
Siegfried Schürenberg wirkte nicht nur wegen seiner Physiogmie und seiner sonoren Stimme perfekt in der Rolle, seine Spielfreude mit all den vielen facettenreichen Nuancen machten Sir John zu einer der Kultfiguren der Filmserie, für die man sich keinen anderen Darsteller vorstellen könnte. Sir John ist der typisch reaktionär blasierte Engländer aus deutscher Sicht. Echte Engländer hingegen empfinden ihn als typisch deutsch. Aber das ist auch ganz egal, die Wallace-Filme sind schließlich in erster Linie für den deutschen Markt bestimmt und die Engländer werden verkraften, dass sie nach Herzenslust karikiert werden.
Besonders gelungen und lustig ist das alles in den schwarzweißen Wallace-Filmen von Alfred Vohrer, unter dessen Regie Schürenberg auch noch in zwei weiteren Filmen spielte. In den Farbfilmen nahm Sir John einen noch breiteren Platz ein, zumal Eddi Arent hier nicht mehr in seiner komischen Rolle auftrat. Trotz immer noch sehr gelungener Gags kam manchmal das Gefühl auf, dass die Kuh auch eines Tages zu Tode gemolken werden könnte. Siegfried Schürenberg schaffte gerade noch rechtzeitig mit „Der Hund von Blackwood Castle“ (1968) den Absprung von der Serie.
Er spielte 13 mal den Sir John und zwei sehr ähnliche Rollen in den Rialto-Filmen. Schon 1960 war er für Kurt Ulrichs Wallace-Film in „Der Rächer“ als Geheimdienstchef tätig, allerdings noch nicht in der parodistischen Weise. Eigentlich die gleiche Figur, aber dieses einzige Mal als Verbrecher, sah man ihn in dem späten Bryan Edgar Wallace-Film „Der Todesrächer von Soho“ (1972). Gerade durch sein bisheriges Rollenklischee wirkte er hier als Verbrecher sehr abstoßend.
Aber das ist nur ein kleiner Bonus.
Durch selbstironischen, trockenen und parodistischen Humor bekamen die Edgar-Wallace-Filme eine kräftige Portion Charme. Und Siegfried Schürenbergs Darstellung des Scotland Yard Chefs hat ganz besonders dazu beigetragen, weil der Zeitgeist der 1960er Jahre Autoritäten einfach nicht ernst nehmen wollte. Und der Schauspieler Siegfried Schürenberg die Figur des Sir John auch nicht.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.