Im klassischen Broadway Musical hatte die weibliche Hauptfigur fast immer eine beste Freundin. Natürlich durfte diese nicht so begehrenswert erscheinen wie die Hauptdarstellerin. Oft hatte diese Nebendarstellerin auch eine schrille Twang-Stimme und war sowieso etwas naiver, vulgärer, ungebildeter oder schlicht dümmer als das schöne Starlet. Der Humor entzündete sich allerdings dann meist an dem Denken und Handeln der zweiten Frau und viel seltener an der Edleren.
Die Hauptdarstellerin wurde so aufgewertet und bekam ein sicheres Milieu der Geborgenheit, wusste und akzeptierte ihre Freundin doch, wer Prinzessin ist und wer Zofenstatus hat.
Dieses Modell hat auch im Film immer ausgezeichnet funktioniert. Dafür gibt es mehrere Millionen Beispiele.
Wir sind als Zuschauer sehr gern Teil des sicheren Milieus. Wenn wir nämlich weder Musical noch Komödie sondern einen Kriminalfilm sehen, ist genau das auch der Grund, warum der Film nicht verunsichert oder gar anstrengt. Unsicherheit und Anstrengung machen nämlich wenig Vergnügen.
Die Berliner Volksschauspielerin Edith Hancke ist eine der vortrefflichsten besten Freundinnen aller Zeiten. Sie war schon immer auf genau diesen Typ in allen Färbungen spezialisiert. Ihre Stimme war obertonreich kratzig, sie konnte hinreißend naiv wirken und war unverkennbar proletarisch. Und immer entwaffnend gutmütig. In unzähligen Filmen und Fernsehspielen hat sie damit geglänzt und war jahrzehntelang einem großen Publikum vertraut.
Ein Hoch auf diese Schauspielerin, die nicht der Eitelkeit erlag, selbst Königin sein zu wollen !
In dem Edgar-Wallace-Film „Die seltsame Gräfin“ (1961) ist Edith Hancke die treue Freundin von Prinzessin Brigitte Grothum und gibt dieser ein Zuhause. Wir müssen nicht darüber nachdenken, welche dieser beiden Frauen die Story mit Joachim Fuchsberger verkuppeln wird. Aber zunächst ruft Klaus Kinski immer mal wieder an, was die Hauptdarstellerin genauso wie einige Mordanschlägen erschreckt. Alles nicht ganz so schlimm, wenn man nicht alleine ist! Nachts im Park hätte es dann die schöne Brigitte Grothum doch noch fast erwischt, wenn sie selbst da gewesen wäre. Aber im letzten Moment merkt der potentielle Mörder Kinski glücklicherweise, dass es sich lediglich um die Freundin handelt und lässt daraufhin sofort von ihr ab. Niemand will Edith Hancke töten, niemand will sie heiraten. So ist das Drehbuch-Leben nun einmal. Wir halten sie vielleicht für gar nicht so wichtig, und doch lehnen wir uns zurück, weil noch jemand da ist. In der Szene, in der sich beide Frauen nachts treffen, fällt im Kontrast erst auf, wie schön doch Brigitte Grothum ist. Und obwohl auch Edith Hancke dem Tod soeben schon in die Augen gesehen hatte, so ist doch ganz klar, wer weinen muss und wer trösten muss.
Gut, dass es solche Freundinnen wenigstens im Film gibt!
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.