Eigentlich geht es selten gut, wenn man Erfolgsmodelle kopiert. 1961 spielte Margaret Rutherford in „16 Uhr 50 ab Paddington“ die kuriose Miss Marple, die sich im relativ hohen Alter als Hobbydetektivin auf gefährliche Abenteuer einlässt. Der Rutherford gelang eine sensationelle Darstellung, die zwar nicht der Miss Marple der Romane entsprach und die auch Autorin Agatha Christie nicht gefiel, aber äußerst beliebt wurde. Es sollte zukünftig schwer werden, sich eine andere Miss Marple vorzustellen. Also ein großer Wurf bei den englischen Krimikollegen!
Davon inspiriert brachte man etwas modifiziert den Typ der überraschend aktiven Frau im Oma-Alter kurz darauf auch bei Edgar Wallace auf die Leinwand. Im Orginalroman gab es nämlich keine Mrs. Mulford, die Agnes Windeck in der Verfilmung „Der Zinker“ (1963) spielen sollte. Zufälligerweise war Agnes Windeck auch die deutsche Stimme von Margaret Rutherford im ersten Miss-Marple-Film.
Genau wie Miss Marple ist Mrs. Mulford einerseits konservativ und altmodisch, andererseits aber auch mutig und doch gar nicht senil. Zum Gelingen dieser Kopie trug bei, dass Alfred Vohrer diese Figur fantasievoll mit allerlei weiteren grotesken Schrullen versah: Mrs. Mulford ist zum Leidwesen ihres höflichen Umfeldes begeistere Dirigentin (zum Tonband!), trinkt Rum und Whisky zum bieder-traditionellen Nachmittagstee und stellt am Ende gar den Täter. Weitergehend als Miss Marple war vor allem aber, dass man sich gar nicht sicher war, wen man da eigentlich vor sich hat. Die Vohrer-typischen Kamerazooms schürten einige Unsicherheit beim Zuschauer und noch interessanter wurde es, als in einigen Szenen hinter der freundlichen Oma-Masche immer deutlicher ein eigenartiger Sadismus zum Vorschein kam, an dem wir uns letztendlich aber gern beteiligen, wenn es gegen Frank Sutton geht. Die Welt in „Der Zinker“ erschien gerade durch sie sogar wesentlich unsicherer als in den vergleichsweise biederen Miss Marple-Filmen. Die fabelhafte Agnes Windeck wurde somit zu einer der auffälligsten und faszinierendsten Darstellerinnen der Wallace-Reihe. Besonders gut funktionierte die Kombination mit Albert Bessler als ihrem Butler.
Im gleichen Jahr wurde sie auch sofort von Brauner für „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ engagiert, in dem sie nunmehr als komödiantische Mutter von Peter van Eyck brilliert.
Leider etwas kleiner und etwas weniger ambitioniert als im „Zinker“, aber dennoch auch sehenswert, erschien sie in „Der Bucklige von Soho“ (1966) und dann wieder in einer etwas größeren und mehr komödiantischen Rolle in „Der Hund von Blackwood Castle“ (1967), beide ebenfalls von Alfred Vohrer inszeniert. Gerade im letztgenannten Film verbirgt sich hinter ihrer Figur wieder ein gewisser Sadismus, denn die haarsträubenden Ereignisse werden von ihr in einer harmlos-senilen Weise kommentiert, die lustigerweise weniger Empathie für die Opfer zeigt als viel mehr Empörung über die so ungehörigen Ereignisse.
Als kuriose Oma zwischen lustig senil und überraschend geistesgegenwärtig sah man sie noch häufig und immer gern in Film und Fernsehen wie in der Serie „Die Unverbesserlichen“ oder dem Staudte-Film „Die Herren mit der weißen Weste“ (1969).
Obwohl Agnes Windeck nur in drei Wallace-Filmen mitgespielt hat, ist sie eine der prägendsten und auffälligsten Darstellerinnen der Serie. Eigentlich fast noch besser als Miss Marple..
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.