Schon sein Name verrät, dass Charles Regnier alles andere war als ein Volksschauspieler. Der hochintelligente Künstler hatte unter anderem in der französischen Schweiz, in Italien und Berlin gelebt, sprach neben deutsch genauso gut französisch und fließend englisch und Italienisch. Später sollte er vor allem französische und englische Theaterstücke ins Deutsche übertragen und manchmal auch inszenieren. Bildung und Kultiviertheit konnte man dem Arztsohn aus Freiburg im Breisgau schon äußerlich ansehen. Zudem wirkte sein schlanker, attraktiver und dunkler Typ eher französisch oder südeuropäisch als deutsch.
Regnier lebte in den 30er Jahren in Berlin und hatte es im nationalsozialistischem Klima sehr schwer Fuß zu fassen. Ein französisch wirkender Intellektueller mit stechend präziser Artikulation, galanten Manieren und offensichtlich homosexuellen Gelüsten? Nein, so einen wollte man nicht, so einen schickte man ganz schnell ins KZ.
Charles Regnier hat das Konzentrationslager überstanden und fand eine adäquate Partnerin, nämlich Pamela Wedekind, die Tochter der Dramatiker-Legende Frank Wedekind. Über sie kam er dann doch noch in die gehobenen Theatergefilde, zunächst nach München, später auch nach Wien, Zürich, Hamburg und wieder Berlin.
Als viel später in den 50er Jahren die Haare entweder ausgingen oder ergrauten, änderte sich sein Typ.
Distinguierte Autoritäten fern jeder volkstümlichen Nähe waren seine Spezialität. Es war dabei ganz egal, ob er Richter, Ermittler oder Gangster spielte - seine Gestalten waren immer respekteinflößend und selten lustig. Intelligenz, Überlegenheit und Ironie bis zur Süffisanz dargeboten mit einer beeindruckend klaren Sprache waren fast immer die bestimmenden Parameter seiner Darstellungen. Seinen Oberton-reichen Stimmsound, gepaart mit einer präzisen Artikulation, wo die konsonantenreiche deutsche Sprache aufs vortrefflichste knallen konnte, hat wohl jeder nachhaltig im Ohr, der ihn mal im Theater oder in Film und Fernsehen gesehen hat. Kein Wunder, dass er auch ein willkommener Sprecher in vielen Hörspielen war. Trotz allem, was ich jetzt aufgelistet habe, sollte man sich nicht darüber täuschen, dass Charles Regnier ein unfassbar wandlungsfähiger Schauspieler war, viele seiner Figuren adelt er mit einer beeindruckenden Nuanciertheit im Schauspiel, die jeden Typen ganz singulär macht. Und so kann er natürlich auch mal einen Inspektor in einem Wallace-Film spielen. Und zwar mit links! Möglicherweise trifft sein Inspektor Puddler in „Der schwarze Abt“ (1963) sogar näher die Vorstellungen des Autors als Siegfried Lowitz Inspektoren aus früheren Wallace-Filmen , die eher für ein spezifisch deutsches Publikum perfekt waren. So gut Regnier bei Wallace war, für ihn selbst dürfte das einfachste Routine gewesen sein, das trifft auch schon auf seine Rolle in dem etwas unbekannteren Wallace-Film „Der Fluch der gelben Schlange“ (1962) zu, in dem sein Part eher klein war. Neben unzähligen grandiosen Darstellungen in Krimis und verwandten Genres möchte ich drei Filme einmal stellvertretend hervorheben, in denen seine Leistungen sehr viel mehr eine Würdigung verdienen. In dem Fernsehspiel „Bei Anruf Mord“ (1958) spielt er neben Heinz Drache und Siegfried Lowitz einen unglückseligen Killer. In einer ungewöhnlichen Rolle als hadernder Dr. Hartleben brilliert er in dem Alfred-Vohrer-Krimi „Ein Alibi zerbricht“ (1963) und wieder ganz typisch süffisant gibt er unnachahmlich den Edelschurken Kaminsky in dem Reinecker-Dreiteiler „Babeck“ (1968). All diese Rollen gestaltete er so, dass man sich kaum einen anderen Schauspieler in diesen Rollen hätte vorstellen können.
Ich glaube, viele Menschen vermuten in dem Menschen Charles Regnier einen Typen wie Dr. Strobel oder vielleicht auch Dr. Förster in zwei Kommissar-Folgen. Zu stark ist seine Ausstrahlung.
Aber viel näher dürfte sein wirklicher Charakter einer seiner größten und besten Rollen entsprechen. In dem Fernsehspiel „In der Sache J. R. Oppenheimer“ (1964), einem „szenischen Bericht“, spielt er den Atomphysiker Oppenheimer, der die Atombombe ermöglichte. Regnier war grandios, alles andere als volkstümlich, sondern präzise, überlegen, kultiviert und intelligent. Aber es offenbarte sich nicht ein impertinenter oder arroganter Geist, sondern ein empathisch denkender, zutiefst humanistischer und freundlicher Mensch.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.