Klaus Kinski (1926-1991) hat nicht nur die deutschen Edgar-Wallace-Filme maßgeblich geprägt, seine sechzehn Wallace-Filme haben auch Klaus Kinski oder zumindest sein Image nachhaltig geprägt.
Darsteller von Schurken und Wahnsinnigen gibt es genug, was ist ausgerechnet an Kinski dran, dass man ihm eine so unschlagbare Sonderstellung als Schauspieler zugesteht? Ist er überhaupt ein typischer Filmschurke wie beispielsweise Pinkas Braun, Horst Frank oder viele andere?
Kinskis Pendant ist bei Wallace immer der Held - Fuchsberger und Drache verstehen sich in den Filmen nie gut mit diesem eigenartigen Typen ( ja ja, in „Das Gasthaus an der Themse“ stellt sich das im Nachhinein theoretisch anders dar). Die Helden verkörpern die Ordnung, gewissermaßen sogar die Sehnsucht nach Vernunft im Chaos der haarsträubenden Ereignisse. Aber noch mehr Pendant zu Klaus Kinski ist ein anderer: Eddi Arent, dessen Figur man als eine Parodie auf Korrektheit, Etikette und Förmlichkeit betrachten kann. Arent hat sich immer im Griff, ist immer bis zur Lächerlichkeit diszipliniert und geordnet. Kinski als dessen Gegenpart ist demzufolge eine Figur, die die Unordnung vertritt, den Trieb, das Chaos, das Animalische - weitab von allen geordneten Verhältnissen. Immer in einer obsessiven Unruhe und von Dingen getrieben, die seine Figur manchmal womöglich selbst nicht begreift, sind wir zutiefst beunruhigt und zugleich fasziniert von dieser Persönlichkeit.
Nach Sigmund Freud wäre Kinski einer, der ausschließlich das „Es“ vertritt, nicht der Vernunft folgt, sondern seinem triebhaften Wesen und Wahn.
In „Der Zinker“ (1963) ist das insofern auf den Punkt gebracht, als dass Kinski nicht spricht und überhaupt kaum mit Menschen Kontakt hat, sondern seine Zeit hingebungsvoll und lustvoll in einer Gemeinschaft mit Tieren verbringt - ausgerechnet mit Schlangen, die besonders weit von der Vorstellung menschlichen Soziallebens entfernt sind.
In förmlicher Gesellschaft kommt er nie zurecht, es gibt dann immer Streit oder einen Eklat. („Das indische Tuch“ ,1963). Er bleibt ein Einzelgänger, der fast alle Personen um sich herum ablehnt („Das Gasthaus an der Themse“ 1962 , „Der schwarze Abt“ 1963). Gesetz und Ordnung passen nicht zu seinem triebhaften Wesen, er nimmt sich, was er braucht. Das hat auch immer eine unterschwellige sexuelle Komponente, die uns manchmal stark beunruhigt . („Das Geheimnis der gelben Narzissen“, 1961 ). Diese Haltlosigkeit erscheint schon per se auf viele gefestigte Menschen verirrt, eben wahnsinnig, was die Filme dann noch zusätzlich benutzen. („Das Geheimnis der gelben Narzissen“ , 1961 ; „Die seltsame Gräfin“ , 1961 ; „Die blaue Hand“, 1967 ). Kinski ist seiner obsessiven Welt ausgeliefert. Das heißt natürlich aber nicht, dass er immer Täter ist; er kann genauso beeindruckend zum Opfer werden („Die toten Augen von London“, 1961 oder „Die Tür mit den sieben Schlössern“, 1962). Überhaupt überlebt er kaum einen Film, denn was wäre die geordnete Welt des Happy End, wenn so ein Besessener noch irgendwo unterwegs wäre? Kinski wird für das wilde Chaos der Ereignisse vorher gebraucht. Immer gibt er den ohnehin schon reißerischen Filmen noch eine zusätzliche hysterische Komponente. Nicht selten mussten Drehbuchautoren eine Figur für ihn erfinden, die es im Originalroman nicht gab, die aber wohl Edgar Wallace selbst auch gefallen haben dürfte.
Klaus Kinskis Wirkung ist so stark, dass er in den Wallace-Filmen ab 1964 nicht mehr spielen musste. Seine bloße Präsenz und höchstens ein bis zwei Sätze reichten aus, um seine Wirkung zu erzielen, da unsere Erinnerung an vergangene Filme wach wurde („Die Gruft mit dem Rätselschloss“ , 1964 ; „Das Verrätertor“, 1964 ; „Neues vom Hexer“, 1965 ; „Das Rätsel des silbernen Dreieck“, 1966).
Meisterleistungen zeigt er in seinen ersten drei Rialto-Wallace-Filmen; faszinierende Variationen in den Filmen 1962/3. In seinem vorletzten Wallace-Film „Die blaue Hand“ mildert er das obsessive ein wenig ab, in seinem letzten Wallace-Film „Das Gesicht im Dunkel“ (1969) erwartet er von den Zuschauern, sich auf einen anderen Typus einzulassen. Das war nicht einfach, wir sahen einen uns fast fremden Schauspieler, der einen recht kühlen und rational denkenden Mann spielt. Eine Enttäuschung für alle, die sich auf den entfesselten Kinski mit all seinen bekannten Manierismen gefreut hatten.
Seine benötigten darstellerischen Mittel sind dabei gar nicht so umfangreich, wie man denken könnte: zuckende Mundwinkel, große Augen, säuselnd weiche Stimme zwischen zögerlicher und blitzschneller Frechheit - aber das alles unnachahmlich und individuell dargeboten.
In den späten 1960iger Jahren sollte es noch reichlich knallen. Aufruhr gegen die alte Ordnung, sexuelle Revolution, Befreiung von Konventionen: Klaus Kinskis animalische Unruhe kündigt das alles schon an. Mit wilder Mähne wird er das neue Testament interpretieren und Skandale evozieren, während sich sein Antipode Eddi Arent als überkorrekter Typus durch seichte und hausbackene Komödien schlagen muss. Das ist lange her, und mittlerweile gibt es neue und andere Konventionen. Aber das Animalische an sich bleibt für uns weiterhin höchst faszinierend. Und Kinski muss es wohl Spaß gemacht haben, denn er hat ja bekanntlich seine Wallace-Rollen noch lange danach in Filmen und in der Öffentlichkeit weiter zelebriert.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.