Man sollte es nicht, weil es eigentlich gar nicht geht. Aber müsste man die Frage beantworten, wer die größte deutsche Schauspielerin aller Zeiten ist, dann würde nicht nur ich zuerst den Namen Marianne Hoppe aussprechen. Und das, obwohl ich sie bewusst das erste Mal als Mrs.Butler in einem Film wahrgenommen habe, in dem es für sie eigentlich gar nichts zu spielen gab.
Die norddeutsche Gutsbesitzerstochter aus der Prignitz hat an den bedeutendsten deutschsprachigen Theatern die großen Rollen in klassischen Stücken und in den namhaftesten Uraufführungen von Thomas Bernhard, Heiner Müller, Rolf Hochhuth und vielen anderen mit Bravour gespielt. Ihre Regisseure waren ganze Generationen von Theaterikonen wie Max Reinhardt, Gustaf Gründgens, Jürgen Fehling, August Everding oder Claus Peymann, um nur einige aufzuzählen. Persönlichen Kontakt hatte sie zu Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Theodor Adorno, Botho Strauß, Golo Mann und vielen anderen wichtigen zeitgenössischen Autoren.
Und auch ihr Privatleben lässt sich gut für Namedropping allererster Güte nutzen, hatte sie doch zum Beispiel eine Ehe mit Gustaf Gründgens oder eine Beziehung mit Therese Giese.
Selbstverständlich hat sie auch hochkarätige Leistungen im Film vorzuweisen. „Der Schritt vom Wege“ (1939, Gustaf Gründgens) nach Fontanes „Effi Briest“ und „Romanze in Moll“ (1943, Helmut Käutner) sind wohl an erster Stelle zu nennen.
Kultur, Kultur, Kultur…
Und was ist mit Unterhaltung? Ja, auch! Marianne Hoppe hat in dem Edgar-Wallace-Krimi „Die seltsame Gräfin“ (1961, Josef von Baky) eine auffällig nuancierte Darstellung abgeliefert. Die Figur der Mary Pinder ist zugleich herzensgut, zynisch verbittert und emotional stark. Diesen komplexen Mix kann die große Mimin uns in Sekunden glaubhaft vermitteln. Auch als Mrs. Butler in „Der Schatz im Silbersee“ (1962, Harald Reinl) bleibt sie uns in bester Erinnerung, wenngleich sie sicher mit der Rolle keineswegs gefordert war. Trotzdem - sie war dabei, sie wirkt und sie bereichert mit ihrer Präsenz den Film, so dass man sie keinesfalls missen möchte. In den englischen Agatha Christie-Krimi „Ten little indians “ (1965, George Pollock) als Frau von Mario Adorf (!) hat sie sich allerdings irgendwie verirrt, denn ihre großartige Darstellungskraft beißt sich mit der Lässigkeit der internationalen Stars, die in modernen Zeiten einfach nur cool sein müssen. Viel mehr gehört die kluge Schauspielerin in Herbert-Reinecker-Fernsehkrimis, wo ihre Fähigkeiten tatsächlich auch gebraucht werden. In dem Dreiteiler „Der Tod läuft hinterher“ (1967, Wolfgang Becker) und in vier Kommissar-Folgen liefert sie wieder einmal mehr bravouröse Auftritte ab. Und wo hat sie am meisten Spaß? Natürlich bei dem tschechischen Regiewunder Zbynek Brynych als Ehefrau von Johannes Heesters in der fast surrealen Highlight-Folge „Parkplatzhyänen“ (1969).
Natürlich ließe sich jetzt noch vieles aufzählen. Mein Tipp ist das Fernsehspiel „Der Walzer der Toreros“ (1962, Peter Beuvais) mit Marianne Hoppe als kranke Ehefrau von Martin Held; allerdings muss ich warnen, das ist kein Krimi!
Marianne Hoppe ist mir gerade deswegen noch sympathischer als ohnehin schon, weil sie nicht nur im elitären Dunstkreis der Hoch- oder sagen wir in ihrem Fall einmal angemessen „Höchst-kultur“ blieb, sondern auch Krimis und andere Unterhaltungsfilme bereichert hat. Könnten wir uns Mary Pinder oder Mrs. Butler ohne Marianne Hoppe vorstellen? Ganz gewiss nicht.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.