Das Geheimnis der schwarzen Witwe (1963)

Ludwig II beehrt Spanien mit einer Visite

1963 war das Jahr des deutschen Krimis. Vier Edgar-Wallace-Filme kamen in die Kinos - der nächste wurde schon gedreht – ebenfalls vier Bryan-Edgar-Wallace- Filme, des Weiteren „Mord in Rio“, „Piccadilly null Uhr zwölf“, „Die Nylonschlinge“, aus Österreich dazu noch „Das Geheimnis der roten Quaste“, „Die schwarze Kobra“ und „Ein Alibi zerbricht“ – wer weiß, was ich noch vergessen habe. Auch der zweite Kriminalfilm nach Louis Weinert-Wilton „Die weiße Spinne“ hatte seine Premiere 1963 schon erlebt, als vom gleichen Autor zusätzlich noch „Das Geheimnis der schwarzen Witwe“ in die Kinos kam. Das inflationäre Angebot war ein Fest für Freunde des Genres und prägend für deutsche Krimiunterhaltung insgesamt.

Der geschickte Filmtitel des vorliegenden Films weckt große Hoffnung, ist doch die „Schwarze Witwe“ ein ekelerregendes und gefährliches Spinnentier und gleichzeitig die Bezeichnung für eine Frau, die ihren Gatten auf dem Gewissen hat. Man braucht nicht viel Fantasie, um da pittoreske Bilder in den Kopf zu bekommen. Aber die Fantasie wird nur teilweise erfüllt, ein lebendiges Krabbeltier kommt ebenso wenig vor wie die geisterhafte Erscheinung einer Frau mit schwarzem Trauernetz. Das erledigt stattdessen ein Stück weit der im selben Jahr erschienene Miss-Marple-Film „Der Wachsblumenstrauß“. Der mit 100 Minuten längste Krimi des Jahres hat aber seinen eigenen Ehrgeiz. Mit Schlägereien, Schusswechseln, Verfolgungsjagden in Auto und Boot bietet er überdurchschnittlich viel Action, die aber nur so leidlich gut funktioniert, weil man hier das geringe Budget im Vergleich zu Hollywood oder auch zu den französischen Filmen von Phillipp de Broca offenkundig ist. Aber mich persönlich stört das weniger, wenn ich unbedingt Action sehen will, dann lege ich de Brocas „Abenteuer in Rio“ in den DVD-Player. 

„Das Geheimnis der schwarzen Witwe“ ist geprägt von zwei entscheidenden Faktoren: der Co-Produktion zwischen Spanien und Deutschland einerseits und dem Hauptdarsteller O. W. Fischer andererseits. 

Der Look des Films ist völlig anders als in deutschen Krimis, denn es wurde ausschließlich im günstigeren Spanien und vielmehr Outdoor gedreht. Da war es auch entsprechend einfacher, eine Autoverfolgungsjagd vor die Linse zu bekommen. Immerhin fällt es hier etwas weniger auf, dass wir uns gar nicht in London befinden, als es in späteren Giallos der Fall ist, wo hemmungslos mediterrane Bilder präsentiert wurden. Außer den sechs deutschsprachigen Schauspielern sehen wir eine Flut von unbekannten Gesichtern, die allerdings in Summe weniger englisch wirken, aber letztlich doch einen guten Job machen. 

O. W. Fischer, seinerzeit der teuerste deutschsprachige Hauptdarsteller, ist bekannt für seine großen und tiefgründigen Filmrollen. Als Bayernkönig „Ludwig II“ in der Inszenierung von Helmut Käutner ist er mir am nachhaltigsten im Gedächtnis geblieben. Das komplizierte Seelenleben der Titelfigur wurde in aller Breite glänzend dargestellt. Auch hier war übrigens Klaus Kinski schon sein kongenialer Partner. Als der große Charakterdarsteller sich niederließ, das triviale Krimigenre zu beehren, musste der ursprünglich vorgesehene Heinz Drache Platz machen. Es versteht sich von selbst, dass Fischer eine besondere Typisierung des Helden anstrebte. Weg mit der braven deutschen Spießbürgerlichkeit, amerikanische Vorbilder zeigten, dass gebrochene Helden ungemeinen Charme versprühen! Also trinkt er ständig Whiskey, lallt vor sich hin und nimmt sich allen Raum, den anderen Darstellern und uns seine Selbstironie, um die Ohren zu hauen. Die arme Karin Dor wird davon fast erdrückt, Eddi Arent hält nur mit Mühe dagegen stand und selbst Klaus Kinski wirkt etwas blass, denn diesmal ist nicht er dran, einen Psychopathen zu geben. Fischer macht zu viel des guten, und das leider mit deutlichem Wiener Akzent. Dass der Burgtheater-Star gleich zu Beginn des Films auch noch die Operette „Die lustige Witwe“ thematisieren musste, setzt dem ganzen die Krone auf. Der Unterschied zu amerikanischen Natur-Charmeuren wir Cary Grant, Rock Hudson oder Dean Martin lag darin, dass man deren privaten Narzissmus niemals spürte. Und körperliche Auseinandersetzungen sind darüber hinaus nun wirklich nicht O. W. Fischers Fachgebiet.

Endlich aber sieht man Karin Dor einmal mit Waffe in der Hand als zwielichtige Schönheit, was zumindest einige ikonographische Screenshots hergibt. Ist sie etwa „die Schwarze Witwe“?  Ich spoilere nicht, wenn ich verrate, sie ist es nicht. Dazu gestaltete Regisseur Gottlieb die Figur zu harmlos, wir wissen alle sofort, dass sie für O. W. Fischer bestimmt sein muss. Achtung, jetzt spoilere ich wirklich: Doris Kirchner hat den besten Part des Films als eiskalte Mörderin. Mir blieb besonders ihre Antwort auf die Frage ihres Gatten Werner Peters, warum sie gemordet hätte, im Gedächtnis: „Ich mag Geld.“  Sie spielt das mit einer erfrischenden Coolness, die 1963 ungewöhnlich war. Und sie hatte erfreulicherweise genügend Raum für ihre Darstellung. 

Insgesamt wirkt der Film etwas uneinheitlich. Dieser Eindruck wird besonders durch die Musik verstärkt, denn Martin Böttcher ist nur verantwortlich für die Cocktailparty-Musik zu Beginn des Films und für das Chanson von der „Schwarzen Witwe“, das die Sängerin Belina ihrem Publikum O. W. Fischer und Karin Dor in einem Nachtclub vorträgt. Die restliche, stilistisch ganz andere Filmmusik stammt laut Credits vom Spanier Antonio Pérez Olea, allerdings bezweifle ich auch das, denn einige der Musiknummern meine ich schon von anderswo zu kennen. Es ist verdächtig, wenn im Film dauernd völlig neue Musik präsentiert wird, die aber trotz ihrer Kürze und ihrem Zweck opulent orchestriert ist. 

„Das Geheimnis der schwarzen Witwe“ ist ein weiterer Krimi aus dem Jahr 1963, zwar kein Highlight, aber ein singulärer Film mit besonderen Momenten, die man anderswo nicht findet. Sollte man aber enthusiastischer O. W. Fischer-Bewunderer sein, erlebt man hier seine private Fan-Sternstunde. Oder sieht sich noch besser „Ludwig II“ an.

Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.