Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963)

Artur Brauner gibt zu viel Geld aus

Nachdem der Constantin Verleih wegen schlechter Einspielergebnisse des Serienvorgängers „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1962) auf weitere Mabuse-Filme verzichten wollte, musste Produzent Artur Brauner sich etwas einfallen lassen. War der letzte Film als Remake des großen Fritz-Lang-Klassikers eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Mabuse-Kultes, die allerdings floppte, so wollte er mit dem kommenden Film kräftig auf die Pauke hauen: Weg aus dem popeligen Westdeutschland nach London; dem Film zusätzlich den Markennamen Wallace überstülpen; bei Regie und Darstellern klotzen; Science fiction – Fotoapparate präsentieren, mit denen man Menschen fremdbestimmen kann. 
Letztendlich sind das alles naive Ideen, die nach der einfachen Formel „Mehr Pulp -mehr Geld“ funktionieren. Und so entsteht ein naiver Film, der sich an ein naives Publikum richtet. Das greisenhafte Psycho-Genie Mabuse ist zu einem Superverbrecher mutiert, dessen kriminelle Mittel in Zukunft genauso von Dr. Fu Manchu oder jedem beliebigen Drahtzieher aus den Euro-Agentenfilmen genutzt werden könnten. Solch einen Pulp kann man sich schwer vor der eigenen Haustür vorstellen, also besser, man distanziert sich von der Handlung, die dann besser woanders stattfindet. Erst einmal liegt der Wallace-Film-Schauplatz London nahe, noch exotischer wäre aber eigentlich noch besser. Die infantile Vorlage des Wallace-Sohns Bryan Edgar gibt nichts als den erfolgsträchtigen Namen her, jeder deutsche Drehbuchautor wäre imstande, eine viel bessere Vorlage zu liefern. Das hat Brauner schon mal alles verstanden. Was er nicht verstanden hat – was aber die kommenden Euro-Trash-Produzenten verstehen sollten - ist, dass man für den ganzen Pulp-Schnick-Schnack gar kein hochkarätiges Ensemble benötigt. Regisseur Paul May hatte schon vor dem Krieg inszeniert und in der Nachkriegszeit mit der Militärklamotte „0815“ (1954) und dem epischen Skandinavien-Melodram „Und ewig singen die Wälder“ (1959) sensationell erfolgreiche und sauber inszenierte Blockbuster hingelegt. Damals schien es so, als wäre ein A-Film-Regisseur wie Paul May eine Steigerung zu B-Film Regisseuren wie Reinl und Vohrer. Ein Irrtum, der nach 1965 im europäischen Film nicht mehr vorkommen sollte. Genauso bremste das Darstellerensemble alle Ansätze in Richtung Pulp-Trash, das eigentlich vielleicht das beste eines deutschen Kriminalfilms der 1960er Jahre war. Peter van Eyck wurde zu der Zeit noch in einer höheren Liga als Fuchsberger und co gesehen. Ein so charismatischer Schauspieler wie van Eyck wäre sogar in der Lage gewesen, perfekt die Inkarnation des Bösen zu spielen. Sein Format hätte es sogar zu einem James-Bond-Gegenspieler obersten Ranges gebracht. Aber leider musste der reife Kosmopolit die langweilige Rolle des Charming Hero übernehmen. Wenn es sein muss, macht van Eyck aber auch das mit routinierter Bravour, immerhin stellt Drehbuchautor Ladislas Fodor ihm mit der hinreißenden Agnes Windeck eine Krimi-begeisterte Mutter gegenüber, so dass durch diesen Figuren-Kontrast tatsächlich Charme entsteht, den man in vielen deutschen Kriminalfilmen altmodischer Machart vermissen muss. Ebenfalls eine beachtenswerte Idee ist, Werner Peters und Klaus Kinski entgegen ihrem Rollenklischee als Ermittler zu besetzen. Insbesondere Werner Peters übertrifft diesbezüglich alle Erwartungen, während Kinskis Polizeibeamter sich von Mabuse willenlos machen lassen muss und so dann doch wieder zum Faktotum des Bösen wird. Mabuse selbst gibt es schon längst gar nicht mehr, er existiert nur noch als Geist im Hirn von Professor Pohland. Walter Rilla gibt als Pohland genau das Bild, das man von einem  wahnsinnigen Psychiater mit bösesten Absichten erwartet. Die zahlreichen weiteren Darsteller sind allesamt Top-Chargen, die erwartungsgemäß ihre Aufgabe erfüllen: Wolfgang Lukschy, Sabine Bethmann, Hans Nielsen, Albrecht Schoenhals, Ady Berber, Albert Bessler und Dieter Borsche. Letzterer weckt extreme Erwartung, wenn man ihn aus anderen Kriminalfilmen der Zeit kennt und es mutet fast dekadent an, eine durchschnittlich interessante Rolle mit ihm zu besetzen. 
Für ein Publikum, das kultige Mabuse-Düsternis mit Angstpotenzial im Psychiatrie-Milieu erwartet, hat „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ eine zu platte und oberflächliche Story. Alberne Science Fiction-Anleihen enttäuschen da eher.
Für ein Publikum, das Lust auf Pulp und Trash hat, sind die Science Fiction-Anleihen wiederum zu naiv, zumal im internationalen Film diesbezüglich ganz anders aufgefahren wurde. In dem Fall hätte Artur Brauner sich sogar den Luxus eines „schweren“ Ensembles aus dem deutschen Theater-Hochadel sparen können und sein Geld besser in technisches Spektakel investiert.
Natürlich gibt es ein paar schöne Szenen und durchaus auch einige gute Ideen. Die Eröffnungssequenz mit Walter Rilla in einem leeren Raum am Tisch sitzend - dazu Rolf A. Wilhelms wie immer gelungener Soundtrack – hat beispielsweise einen ikonischen Look.
Einen neuen Weg für die Mabuse-Serie markiert der vorliegende Streifen allerdings noch nicht. Für den nächsten Film musste man sich wieder erneut den Kopf zerbrechen, während die Wallace-Serie unaufhörlich sprudelte.
Zumindest hatte Artur Brauner mit Gloria einen neuen Verleih gefunden und vorerst ein gutes Geschäft gemacht.

Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.