Nicht mehr viele Menschen können sich vorstellen, wie unbeliebt, oder ganz offen gesagt, wie sehr verhasst die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich und England waren. Da schien sich gar nichts normalisieren zu können. Deutschland war ein Land, mit dem man möglichst wenig zu tun haben wollte, die Deutschen waren Unpersonen. Gemeinsame Filme? Niemals, undenkbar. Dass die Deutschen umgekehrt so sehr die Stoffe des englischen Kriminalschriftstellers Edgar Wallace liebten, schien den Briten eher kurios. Ihre eigenen Filme nach Stoffen des Meisters betonten weder den Namen Wallace so deutlich wie die deutschen Filme, noch betonten sie die phantastischen Elemente, die man hierzulande so aufregend fand.
Soweit die Ausgangssituation.
Jetzt kümmern wir uns aber zunächst einmal um einen Ausnahme-Mann, einen Macher, einen Visionär, einen Meister der Realisation, einen Tausendsassa mit einem Leben voller Sex and Crime, das näher an der Fiktion seines Exploitation-Kinos ist, als man sich vorstellen kann. Solche Typen sind bisweilen so naiv wie genial, so verspielt wie gefährlich, immer getrieben von Ideen und Geschäften, niemals ruhig und gesättigt. Sie sind gut beim Film aufgehoben, besser zumindest als wenn sie sich als Präsidenten versuchen würden.
Harry Alan Towers hat es schon in den 1940er Jahren fertig gebracht, eine Weltelite an Schauspielern wie John Gielgud, Ralph Richardson und Orson Welles zu Sherlock-Holmes-Hörspielen zusammenzubringen. Welch eine Visitenkarte für die Zukunft! Unter den Namen Peter Welbeck schrieb er nicht nur Hörspiele, sondern schon in den 1950er Jahren auch frühe Fernsehspiele. Der britische Klassiker „Der dritte Mann“ (1948) hatte ihn fasziniert, beeinflusst und geprägt. Die Figur des „Harry Lime“, den Orson Welles spielte, war im Grunde genommen sehr nah an Towers eigener Persönlichkeit. Die Autoren, die die Basis seiner Drehbücher, Fernsehspiele und Kinoproduktionen bildeten, waren Bram Stoker, Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Edgar Wallace, Sax Rohmer, aber auch Marquis de Sade und Oscar Wilde - ein wirres Gemisch aus Krimis, Gothic Horror, Agentenstories, Erotik und Kunstgewerbe. Bunt, knallig, trivial und doch auch ambitioniert. Harry Alan Towers liebte eben Pulp, Exploitation oder gar Sexploitation.
Privat war sein Leben mit Skandalen gefüttert, die immer noch nicht im Ansatz aufgeklärt worden sind. Da ist erst einmal die sogenannte Profumo-Affäre mit dem Model Christine Keeler und Politikern, in die Towers am Rande verstrickt war. Eine zentrale Rolle spielte er aber vor allem im skandalösen Leben von Mariella Nowotny, der Tochter eines bekannten tschechischen Widerstandkämpfers. Sie arbeitete als Model in London und wurde schließlich Edelprostituierte für die gehobenen Schichten in England und den USA. Bekannt geworden sind ihre Dienste für US-Präsident John F. Kennedy. Harry Alan Towers organisierte solche Zusammenkünfte und darüber hinaus auch freizügige Partys für Politiker. Die Informationen, die bei eigentlich solch sehr privaten Treffen vor allem in New York gesammelt werden konnten, soll der geschäftstüchtige Towers an Sowjetagenten für gutes Geld verkauft haben. Sein eigenes körperliches Interesse an der Nowotny in doch schon recht exzessiven Situationen hat er teilweise bestritten, was spätere Zeugenaussagen seiner fürsorglichen Mutter bestätigten. Allerdings war auch sie an der Organisation von unmoralischen Dingen beteiligt. Es gab Prozesse und Ermittlungen wegen all dieser Dinge bis in die 1980er Jahre, die Towers durch Zahlungen ans Gericht zur Einstellung bringen konnte. Unmöglich, heute noch zu einem eindeutigen Urteil zu kommen. Ich zumindest habe die Recherche aufgegeben. Wie dem auch sei, so jemand wie dieser Filmproduzent sollte sich mit Sex and Crime nun wirklich auskennen!
Und Harry Alan Towers hatte eine fast naive Lust auf Pulp Kino wie ein erwachsenes Kind. So schundhaft viele Stoffe auch waren, so konnte er manches Mal die Trivialität durch liebevolle Hingabe zum Genre vergessen machen. Zunächst startete er seine Filmproduktion 1963 und 1965 mit zwei harmlosen Afrika-Filmen nach Edgar Wallace. „Das Rätsel des silbernen Dreieck“ aus dem Jahr 1966 mit einem von ihm selbst verfassten Drehbuch ist dann aber immerhin ein gelungener Wallace-Krimi auf dem Level der deutschen Rialto-Filme. Mehrmals verfilmte er auch Agatha Christie’s „Ten little Indians“ mit einem jeweils glamourösen internationalen Starensemble.
Towers ging gerne in europäische Koproduktionen und nutzte alle Möglichkeiten, sein immer knalliger werdendes Kino zu realisieren. In seinen Filmen spielten deswegen eine internationale Auswahl an charismatischen Genre-Schauspielern. Wiederkehrend waren das Christopher Lee, Herbert Lom, Klaus Kinski, Shirley Eaton, Richard Todd, Tsai Chin, Wilfred Hyde-White, Margaret Lee und die österreichische Schauspielerin Maria Rohm, mit der Towers liiert war. Aber auch Heinz Drache, Maria Perschy, Marie Liljedahl und Maria Schell (!!!) tauchten mehrfach in Towers-Produktionen auf. Er wandte sich immer mehr Agentenfilmen zu, die oftmals einen Schuss Horror injiziert bekamen. „Sumuru, Tochter des Satans“ (1967) ist meines Erachtens so etwas wie die Quintessenz der Towers-Produktionen mit allen Elementen, die man aus seinen Produktionen erwarten kann. Zwischen Trash und hedonistischer Kunst schwankend, landeten seine folgenden Filme logischerweise in den Arme der spanischen Regie-Legende Jesus Franco Manera, oder auch Jess Frank genannt. Dessen Lust an Ästhetik und Trash ging eigentlich noch weiter als die bisherigen immer noch soliden Towers-Filme und so landen wir schließlich bei kunstgewerblichem Gothic Horror Sexploitation. Jeder soll für sich entscheiden, ob ein Film wie „Nachts, wenn Dracula erwacht“ große Kunst oder schlimmer Trash ist.
Sicher war Harry Alan Towers Interesse in erster Linie ein gutes Geschäft, darüber hinaus aber sicher auch die Lust an Genre-Filmen zur eigenen Unterhaltung.
Ohne es selbst beabsichtigt zu haben, sind seine Filme aber ein wertvoller Beitrag der Aussöhnung zwischen den europäischen Völkern.
Nahezu unglaublich ist nämlich, was er mit den „Dr. Fu Manchu“-Filmen auf die Beine stellte: der böse ist ausgerechnet ein Brite, und die Helden sind erstaunlicherweise die deutschen Darsteller Joachim Fuchsberger, Heinz Drache, Götz George, Harald Leipnitz und Günther Stoll. Dieser Aspekt ist vielen Kulturwissenschaftlern verborgen geblieben. Und das ist neben allem Spaß an den Filmen der unfreiwillige Verdienst dieses Produzenten-Unikum.
Irgendwie kann man Harry Alan Towers nicht böse sein - genauso wenig wie Harry Lime in „Der dritte Mann“.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.