Er sah genau so aus, wie man sich einen typischen italienischen Meisterregisseur vorstellt: von Lebenserfahrung kündener grauer Vollbart, lichte verwuselte Genie-Frisur, Distanz schaffende dunkle Brille und guten Geschmack verratenden Anzug. Ein respektabler Ästhet, so könnte man denken.
Allerdings ist nicht alles so, wie es scheint. Lenzi bot in allerlei Genres bestenfalls nur Durchschnittliches, das aber in puncto Härte immer das übliche Maß erfolgreich übertraf. In den frühen 1960er Jahren waren das Filme voller Historien-Quatsch vom alten Rom über Robin Hood bis hin zu Katharina der Großen. Mitte der 1960er kamen dann Western und Kung Fu-Filme, die Lenzi zwar in einfacher Gestaltung beließ, aber seinem Stil gemäß mit besonderer Brutalität veredelte. Natürlich beteiligte er sich auch am aufkommenden Giallo und eher zufällig erweckt er somit das Interesse der deutschen Wallace-Fans, weil sein Giallo „Sette orchidee macchiate di rosso“ auch von Horst Wendlandts Rialto mitfinanziert wurde. In Deutschland wurde der Reißer deshalb als 32. und damit letzter Edgar-Wallace-Film von Rialto vermarktet. „Sieben rot befleckte Orchideen“, eigentlich ein geschmackvoller Titel, bekam den ausgelutschten deutschen Verleih-Titel „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“, der auch einer von vielen Kinder-Detektivbuch-Titeln hätte sein können. Aber was soll’s, ich muss zugeben, dass ich diesen Giallo ganz gerne sehe. Geschmackvolle Musik, ein paar reizende Kult-Schauspielerinnen und eine sehr simple aber solide Story, die als Grundlage für ein paar ästhetische Mordszenen dient. Meine niedersten Instinkte werden hier befriedigt, so dachte ich neulich, als ich den Film sah. Keine große Filmkunst, aber der Film leistet, was man zur Unterhaltung benötigt. Funktional und ok. Alles, was man braucht. Ausgereizt.
Wirklich? Oh, nein! Umberto Lenzi kann noch mehr: Gleich als nächsten Film dreht er im Jahre 1972 „Mondo Cannibale“ und begründet damit den Kannibalen-Film, ein sozialpsychologisch gesehen interessantes Genre, das die Zeit zwischen 1975 und 1985 beherrscht und vor allem einem jüngeren Publikum sehr zeitgemäß erschien. Edgar-Wallace-Filme waren ab sofort etwas für Weicheier und Fernsehgucker.
Bevor der Kannibalenfilm splatterhafter wurde und mit zunächst Soft- und dann Hardcore-Pornographie allmählich immer weiter aufgepimpt wurde, beschenkt uns Umberto Lenzi noch mit einigen äußerst zynischen und blutigen Poliziottesci, typisch italienischen Polizeifilmen, die die Grenzen der FSK ausloten sollten.
Um 1980 drehte der Regisseur dann endlich Höhepunkte des Kannibalenfilms: „Lebendig gefressen“ (welch ein Filmtitel!) und „Die Rache der Kannibalen“ versprachen grandioses Entertainment für alle Kinogänger mit fortgeschrittener Blutrausch-Obsession. Hier wurde geboten, wonach Seele mit dunklen Untiefen schmachteten. So etwas hatte es noch nie auf der Leinwand gegeben!
Ein Endpunkt also? Mitnichten, Umberto Lenzi entwickelte sich weiter und entdeckte nun auch die Möglichkeiten des Zombiefilms! „Großangriff der Zombies“ war einer seiner filmischen Höhepunkte und eine gute Gelegenheit für sein fasziniertes Publikum, die menschlichen Organe mal genau zu betrachten. Der Dünndarm machte in diesen Filmen optisch am meisten her.
Ich erinnere mich noch an die Zeit, als der Gang ins Kino zu einer Art Mutprobe wurde. Ich war noch viel zu jung, aber die 18jährigen Jungs in unserem Dorf amüsierten sich immer vortrefflich, wenn ihre ins Kino geschmuggelten 16jährigen Freundinnen sich angesichts von Lenzis spektakulären Bildern übergeben mussten. Welch ein Spaß! „Eine Abfolge von Scheußlichkeiten“ bescheinigt das Lexikon des internationalen Films dem Inszenierungsgenie. Doch das Ende seiner künstlerischen Entwicklung - zumindest für den deutschen Markt - kam von außen: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten beschlagnahmte das Zombie-Splatter-Meisterwerk.
Ich für meinen Teil gehe nur bis „Das Rätsel des silbernen Halbmond“ mit, denn ich bin ein Weichei, das schon mit schwarzweißen Edgar-Wallace-Filmen glücklich ist.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.