Ohne Frage ist Wolfgang Kieling einer der ganz großen deutschen Ausnahmeschauspieler. Seine natürliche Präsenz, der hohe Grad an Authentizität in seinem Spiel, die Nuanciertheit seiner Charaktere und die Breite seiner Rollenfächer suchen seinesgleichen.
Schon während der NS-Zeit hatte er mehrere Kinderrollen im Kinofilm und nahm vor dem Stimmbruch Schallplatten mit schöner Sopranstimme auf. Er spielte auch nach dem Krieg Theater und in den 50er Jahren - noch relativ unbeachtet - im Film. Immer wieder war Kieling auch aus politischer Überzeugung in der DDR aktiv und siedelte 1968 sogar - konkret aus politischen Gründen - im den Arbeiter- und Bauernstaat über. Zwei Jahre später aber hatte er schon genug vom real existierenden Sozialismus und kam wieder nach West-Deutschland.
Gisela Uhlen war die zweite von vier Ehefrauen und Susanne Uhlen beider Tochter.
Natürlich könnte man Romane über Wolfgang Kieling schreiben. Er hatte großartige Parts in Leinwand- und vor allem auch Fernsehfilmen, von denen inzwischen leider viele in Vergessenheit zu geraten drohen.
Ich konzentriere mich jetzt aber einmal auf eine Auswahl seiner außergewöhnlichen Leistungen in sehr unterschiedlichen Kriminalfilmen.
1. Polizeirevier Davidswache (1964)
Jürgen Roland und Wolfgang Menge wagen es, in der Hochphase der Wallace-Filme einen völlig konträren Film auf die Leiwand zu bringen. Im halbdokumentarischen Stil präsentiert er echtes Hamburger Kiez-Milieu und kleine Geschichten um die Wachtmeiser Günther Neutze und Wolfgang Kieling. Kieling ist hier einer der ganz seltenen realistisch dargestellten Menschen im deutschen 60er Jahre-Krimi. Um so bitterer überrascht uns das tragische Ende des Films. Eine Pionierleistung!
2. Der zerrissene Vorhang (1966). In dem bekannten Alfred-Hitchcock-Film dürfen mit Hansjörg Felmy, Günther Strack und Wolfgang Kieling wegen des Milieus drei Bekannte deutsche Darsteller neben Paul Newman und Julie Andrews spielen. Am nachhaltigsten im Gedächtnis bleibt aus diesem Film aber Wolfgang Kielings starke Präsenz als Ost-Agent Gromek. Der Mord an Gromek ist neben der Duschszene aus „Psycho“ möglicherweise die fürchterlichste Mordszene eines Hitchcock-Films, da der Regiemeister so naturalistisch wie bis dahin kaum gekannt inszeniert. Wer diese Szene gesehen hat, wird Kieling nie vergessen.
3. Das Kriminalmuseum „Die Kiste“ (1967)
Eine kleine aber herausragende Folge aus der alten fast vergessenen Krimiserie ist ganz großes Theater! Kieling spielt unglaublich nuanciert einen Familienvater, der eigentlich ein realitätsferner Phantast ist und deswegen immer mehr zum kriminellen Hochstapler wird. Höhepunkt ist die bizarre Reise in einer Kiste. Ich würde Kielings Leistung als beste der gesamten Serie bezeichnen.
4. „Im Banne des Unheimlichen“ (1968)
Endlich sehen wir Kieling auch mal bei Edgar Wallace, nachdem seine Ehefrau schon dreimal dabei war. Kieling sollte ursprünglich Lord Lebanon in „Das indische Tuch“ spielen. So beeindruckend Hans Clarin letztendlich in der Rolle war, ich würde Kieling ohne Zweifel die gleiche Leistung zutrauen. Auch sein Sir Cecil im vorliegendem Film sticht als eine der besten Darstellungen zumindest der Farbfilmzeit heraus. Man hätte Kieling schon viel früher bei Wallace besetzen sollen.
5. Derrick „Waldweg“ (1974)
Die Derrick-Folge Nr.1 gilt vielen Fans als die beste der langen Serie. Kieling spielt in beklemmenden Szenen mit Bravour den triebhaften Mörder. „Mama, gibt’s du mir was zu trinken?“ ist ein Kultsatz aus dieser Folge; eine Frage, die der Mörder seiner Mutter Lina Carstens im Beisein von Derrick stellt.
6. „Abwärts“ (1984)
Eigentlich kein Krimi, aber ein origineller Thriller! Der Film markiert eindrucksvoll den Neustart des Unterhaltungskinos in den 80er Jahren. Nach faden Kinojahren begeistert der Film Publikum ins Kritik gleichermaßen. Neben Götz George in einer großartigen Charakterstudie: Wolfgang Kieling.
Kieling wurde jetzt auch von einer breiten Masse als einer der besten deutschen Charakterdarsteller wahrgenommen.
Weitere Krimis: „Agahthe, lass das Morden sein“ (1960) , „Mörderspiel“ (1961), „Hotel der toten Gäste“ (1965), „Die Rache des Dr. Fu Manchu“(1967) , „Der Todesrächer von Soho“ (1972).
Keine Kommissar-Folge, 1 Folge „Sonderdezernat K1“, 2 Folgen „Tatort“, 2 Folgen „Der Alte“ , Durbridge Zweiteiler „Die Kette“ (1977).
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.