Wieviel Wallace-Film- Epigonen gibt es im deutschen Film der 1960er Jahre? Viele, würde man wohl ohne nachzudenken sagen. Aber tut man den Filmen nicht Unrecht? Denn: Ein Epigone ist ein ein Künstler oder ein Kunstwerk ohne eigene Idee, zum Beispiel auch ein Film, der andere Filme kopiert, ohne eigenständige Ideen zu haben, sozusagen ein Trittbrettfahrer. Das ist sehr abwertend und sogar ungerecht - auch wenn mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den 1960er Jahren die kreativen eigenständigen Ideen nicht immer so deutlich sichtbar sind.
1. Fritz Langs “Die 1000 Augen des Dr. Mabuse” (1960) ist niemals ein Wallace-Epigone, sondern eine Fortsetzung seiner Mabuse-Meisterwerke vor dem Krieg. Einem so bedeutenden Regisseur zu unterstellen, er habe bei “Der Frosch mit der Maske” oder “Der rote Kreis” abgekupfert bzw. sich in spüren lassen, ist völlig absurd.
2. Bei den weiteren Mabuse-Verfilmungen ist das etwas anders. Produzent Artur Brauner dürfte sich wohl schon an der Stilistik der Wallace-Filme orientiert haben wollen. Zumindest wird der Einfluss der Wallace-Filme auf die Mabuse-Filme immer stärker. Andererseits sind diese Filme trotzdem nicht einfach Kopien, denn die Mabuse-Filme entwickeln sich immer weiter Richtung “Science Fiction”.
3. “Mörderspiel” (1960, Helmuth Ashley) und “Ein Alibi zerbricht” ( 1963, Alfred Vohrer) sind eher psychologische Thriller als klassische Kriminalfilme, die bewusst ganz andere Wege als die Wallace-Filme gehen und eher den französischen Kriminalfilmen der Nouvelle Vague nahe stehen.
4. Die schwarzweißen Bryan-Edgar-Wallace-Filme kann man wohl mit Recht als Epigonen bezeichnen. Sie ahmen den Stil der originalen Wallace-Filme nach, bedienen sich so gut es geht bei Stab und Besetzung und nutzen sogar den Namen des Originalautoren. Allerdings manche mehr und manche weniger: Regisseur Edwin Zbonek zum Beispiel versucht einen eigenständigen Stil zu kreieren, der sich ganz bewusst vom Stil der Rialto-Wallace-Filme unterscheiden will.
5. Die farbigen Bryan-Edgar-Wallace-Filme sind definitiv keine Epigonen, denn italienische Regisseure wie Dario Argento drehen hier etwas völlig anderes. Nur die Verleiher haben für die deutsche Vermarktung überhaupt ein Interesse an dem Namen Wallace.
6. Die ersten drei Weinert-Wilton-Filme kann man wohl als Epigonen bezeichnen. Schon der Autor selbst war ein Wallace-Epigone. Der vierte Film “Das Geheimnis der chinesischen Nelke” (1964) unterscheidet sich aber stilistisch sehr deutlich von den Wallace-Filmen.
7. “Wartezimmer zum Jenseits” (1964, Alfred Vohrer) ist auch kein Wallace-Epigone. Wendlandt und Vohrer wollten mit einem neuen Filmstil etwas anderes als Wallace-Filme probieren. An Hauptdarstellern, Musik, Schauplätzen und Dramaturgie kann man das immer noch gut erkennen. Allerdings gebe ich zu, dass Jahrzehnte später der ganze Look an Wallace erinnert, denn Stab und Besetzung erkennt man natürlich schon wieder.
8. “Die schwarze Kobra” (1963) und der Pseudo-Durbridge-Krimi “Piccadilly null Uhr zwölf” (1964) von Rudolf Zehetgruber versuchen auf verschiedene Art und Weise, andere Wege als Wallace zu gehen. Gerade im zweiten Film geht die Idee, Hanns Lothar als angeschlagenen Helden zu präsentieren, deutlich auf amerikanische Vorbilder zurück.
9. “Die Nylonschlinge” (1963) und “Das Wirtshaus von Dartmoor” (1964) von Zehetgruber muss man wohl als Epigonen bezeichnen. Dabei hat Victor Gunns Vorlage zu “Das Wirtshaus von Dartmoor” eigentlich nicht so viel mit Wallace zu tun wie die Verfilmung.
10. Filme wie “Das Rätsel der grünen Spinne” (1960) , “Das Rätsel der roten Quaste” (1963) oder “Hotel der toten Gäste” (1965) erinnern vielleicht wegen des Titels und auch wegen der Besetzung an Edgar-Wallace-Filme, sind allerdings gar nicht mehr komplett im Krimigenre angesiedelt und können insofern gar nicht mit Wallace-Filmen verglichen werden.
11. “Der Würger vom Tower” (1965, Hans Mehringer) ist ein Epigone in seiner negativsten Bedeutung. Dazu kommt noch der Makel, den wohl handwerklich schlechtesten Krimi dieser Dekade gedreht zu haben.
Alle weiteren Filme, die einem so einfallen könnten, sind ganz sicher keine Epigonen, auch wenn sie mal ein Parallele zu den Edgar-Wallace-Filmen haben. Aber genauso haben die Filme dann auch Parallelen zu ganz anderen Genres und können nicht einfach als Wallace-Epigonen diskreditiert werden. Zumindest sollte man immer den Respekt vor der eigenständigen schöpferischen Tätigkeit der Filmschaffenden haben. Sie haben es verdient, dass man ihre Filme zumindest als eigenständige Leistungen betrachtet.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.