Schüsse aus dem Geigenkasten (1965)
Ein deutscher FBI-Mann mit solider Schlagkraft
Jeder kannte ihn; es gab keinen Kiosk, der nicht unzählige Bastei Lübbe Groschenhefte griffbereit hatte. FBI-Mann Jerry Cotton war 1965 reif, auf Kinoleinwänden für Gesetz und Gerechtigkeit zu sorgen. Seit James Bond wusste man, was man an strahlenden Supermännern hatte. Warum sollte man sich daran nicht ein Stück weit orientieren, zumal Jerry Cotton eine ureigene deutsche Erfindung war? Die immer noch beliebte Edgar-Wallace-Krimiserie hatte bereits ihren Zenit überschritten und das Gespenst Dr. Mabuse war nun endgültig tot. Allmählich begann das Fernsehen neue Wege zu finden, wie man hiesige Krimigelüste befriedigen konnte. Es mutet kurios an, dass ausgerechnet einer der erfolgreichsten Fernsehregisseure sich dem Thema Action in amerikanischen Großstädten annahm. Fritz Umgelter hatte mit „Soweit die Füße tragen“ (1959) und „Am grünen Strand der Spree“ (1960) noch vor dem Durbridge-Straßenfeger „Das Halstuch“ (1962) zwei Mehrteiler inszeniert, die akribisch Geschichten aus den Nachkriegsjahren erzählten und zu den ersten großen Fernsehereignissen zählten. Böse gesagt, ein Fernsehbiedermann sollte plötzlich Action-Entertainment liefern? Ja, und genau das war ein Glücksfall für die gesamte Serie. Mit Eurospy-Trash-Filmern auf dem Regiesessel wäre die Gefahr groß gewesen, dass Jerry Cotton nach eineinhalb Filmen schon ausgedient hätte. Dafür gibt es zwischen 1965 und 1967 zahlreiche Beispiele ambitionierter Peinlichkeiten. Der ursprünglich für den Jerry-Cotton-Start vorgesehene Regisseur Rudolf Zehetgruber sollte kurze Zeit später mit dem ersten Kommissar-X-Film versuchen, ein verwandtes Genre wesentlich exploitativer anzugehen.
Mit Fritz Umgelter war ein intelligenter Kopf gefunden, der einerseits grundsolides Handwerk beherrschte und andererseits genau wusste, dass Action für dieses neue Genre die unabdingbare Komponente war und deshalb noch besser werden musste, als es je im deutschen Film üblich gewesen war. Und es wurde besser! Zwar bei weitem nicht auf James Bond-Level, aber immerhin doch so gut, dass die Handgreiflichkeiten einen höheren Schauwert hatten als in den bisherigen deutschen Kriminalfilmen. Das größte Problem aller Jerry-Cotton-Filme war der Schauplatz. Edgar-Wallace-Filme konnte man einfach im Grunewald drehen, für Karl-May-Filme musste man nur bis Jugoslawien reisen - aber New York, Los Angeles oder San Francisco waren nirgendwo in Europa darstellbar. Dass infolge der falschen Drehorte der irreale Touch bei Wallace und die märchenhaften Atmosphäre bei May erstaunlich vorteilhaft gerieten, war ein Effekt, der bei Jerry Cotton nur möglich gewesen wäre, wäre man radikal Richtung Comic gegangen. Damals undenkbar für die Verantwortlichen! Und so gab es lediglich die Möglichkeit, in den USA einige Paradeaufnahmen einzufangen und mit deutschen Studioaufnahmen zu verquicken. Dazu kamen leidliche Rückprojektionen und Außenaufnahmen zumeist von Baustellen und vor allem Kiesgruben. Überhaupt sollten Sand- und Kiesgruben in der Nähe von Winsen an der Luhe oder anderswo das Markenzeichen deutscher Exploitation werden. Man sieht „Schüsse aus dem Geigenkasten“ an, dass Zeit und Mühe für geschickte Schnitte aufgebracht worden waren und das Ergebnis überrascht durchaus positiv. Das nächste entscheidende Problem war die Besetzung. Hier tat man gut daran, einen echten Amerikaner zu besetzen. Ein deutschsprachiger Schauspieler konnte noch die Idealbesetzung eines Scotland-Yard-Inspektors sein, aber ich möchte mir nicht vorstellen, wie Fuchsberger, Hoven, Drache und Co als New Yorker FBI-Ermittler ausgesehen hätten. Nun gut, Rock Hudson ist es zwar nicht geworden, doch Hudsons Kumpel George Nader war eine ansprechende Wahl. Zumindest sollte es möglich sein, mit einem amerikanischen B-Star in Serie zu gehen. Das hatte bei Karl May mit Lex Barker auch funktioniert. Und George Nader entsprach optisch dem, was man sich in der deutschen Provinz unter einem echten Amerikaner vorstellt. Umgelter machte „Soweit die Füße tragen“-Star Heinz Weiss zu Cottons Freund und Kollegen Phil Decker und Richard Münch zu deren Vorgesetzten Mr. High, beides keine allzu spektakuläre aber gerade deswegen sehr gute Wahl. Der sympathische Heinz Weiss wurde ein ebenbürtiger Partner, der niemals der Hauptperson das Wasser abgraben sollte.
Und noch mehr wurde richtig gemacht: Im Gegensatz zu jeder Art anderer Krimis der Zeit wurde eine einfache Geschichte schnörkellos erzählt. Und die beginnt mit einer semidokumentarischen Einführung. Wir lernen zuerst die FBI-Schule samt körperlicher Ausbildung kennen und sehen dort die Hauptprotagonisten zum allerersten Mal. Eines wird sofort klar: hier werden wir seriös auf eine Filmserie vorbereitet. Ein Erzähler aus dem Off wurde dann in der Serie auch immer mal wieder bemüht, um den Zuschauern das bodenständige Gefühl von Realismus zu vermitteln. Diese Bodenständigkeit kam insbesondere den deutschen Bedürfnissen entgegen und wurde von der zeitgenössischen Kritik immer wieder als Pluspunkt im Vergleich zu anderem Eurotrash gewertet. Durch diese scheinbare Realität wuchs auch der Kontrast zu den Action-Szenen, die jetzt aufregender wirkten. Klar, Jahrzehnte später erscheint besonders der Gegensatz zwischen dokumentarischen Stilmitteln und gefakten Schauplätzen besonders lächerlich, schon damals ätzten Kritiker, dass man nur einem deutschsprachigem Provinzpublikum die FBI-Mär glaubhaft machen könne. Na und? Die schnörkellose Geschichte weiß trotzdem gut zu unterhalten. Jerry Cotton schleust sich in ein Milieu von Berufsverbrechern ein, das man eher in Paderborn als in den USA verorten würde. Aber gefährlich sind die Burschen allemal. Wie auch in folgenden Cotton-Filmen sieht man viele deutsche Fernsehgesichter als Bösewichter, die beweisen, dass sie auch außerhalb der profanen Fernsehwelt makellos liefern können. Zu unserem Vergnügen führt Jerry Cotton uns vor, wie den mehr oder weniger stupiden Unholden das Handwerk gelegt wird. Das ist es. Nicht mehr und auch nicht weniger. Solide eben. Und genau maßgeschneidert für den Beginn einer Kinoserie, die kurzweilige Unterhaltung auf anständigem Level garantieren konnte. Schließlich musste man auf den nächsten Bond ja auch erheblich länger warten.
Doch es gibt noch mehr positives zu sagen. Und das kann man gar nicht überschätzen. Mit Filmkomponist Peter Thomas hatte man nämlich eine einzigartige Koryphäe ins Boot geholt. In diesem und vor allem folgenden Filmen wusste er einen Score hinzulegen, der mit inflationärer Üppigkeit die Sinne zum Bersten bringen konnte. Selbst schwächere Beiträge der Serie wurden so erheblich aufgewertet. Sein „Jerry-Cotton-Marsch“ (die deutschen Produzenten wollten selbstverständlich einen Marsch) ist ein echter Ohrwurm, der zum musikalischen Markenzeichen der Serie avancieren sollte.
Heutzutage mag manch einer die Jerry-Cotton-Filme nutzen, um sich über die Diskrepanz zwischen Sujet und den damaligen Gegebenheiten zu amüsieren. Wer das braucht, dem sei es gegönnt. Ich jedenfalls fühlte mich angenehm unterhalten von einem echt deutschen FBI-Mann, der so solide sein Handwerk betrieb, das weitere sieben erfolgreiche Filme abgedreht werden konnten.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.