Jerry Cotton – Fall Nr. 6

Dynamit in grüner Seide

Entwaffnende Lust am Unterhaltungskino, und „das ist doch nichts Schlimmes!“

Was erwartet man von einem Jerry-Cotton-Film? Action, Schießereien, Prügeleien, Horden von Gangstern, smarte FBI-Männer, verführerische Frauen, coole Sprüche? Vielleicht auch Autos, die durch Kiesgruben rasen? Rasante Verfolgungsjagden zu Lande und zu Wasser? Eine geradlinige Story in leuchtenden Farben mit aufpeitschendem Soundtrack? Dann ist man hier im exakt richtigen Film gelandet.

Die Jerry-Cotton-Reihe beweist, dass die Wahl des Regisseurs essentiell für die Qualität des Films ist. Nach einem vorsichtig, doch soliden Start mit Fritz Umgelter (Schüsse aus dem Geigenkasten), einigen schwächeren Beiträgen (Helmut Ashley, Harald Phillip) und einem ansehbaren Film von Werner Jacobs (Der Mörderclub von Brooklyn) hat man mit Harald Reinl einen Regisseur gefunden, dessen Vorzüge ideal kompatibel mit den Erfordernissen der Filmreihe sind. Reinl steht für ein schnörkelloses Unterhaltungskino ohne schlechtem Gewissen, für ein naives Kino von entwaffnender Lust an der Sache - frei vom Ballast schwermütiger Ambitionen. Er war es, der schon die Edgar-Wallace-Filme zum Laufen gebracht und mit den Karl-May-Filmen den Olymp deutscher Kinounterhaltung erklommen hatte. Reinls damalige Frau Karin Dor lobte später immer wieder seinen untrüglichen Sinn für Bilder und Aktion. Man könnte fast meinen, mit drei Jerry-Cotton-Filme wäre er in seinem ureigensten Metier angekommen, wären da nicht noch seine ( stark unterschätzten) Ganghofer-Verfilmungen der 1970er Jahre. Dass dieses Mal nicht Herbert Reinecker eine komplexe, sondern Christa Stern und Rolf Schulz eine geradlinige Story schrieben, kam dem Regisseur sicher entgegen. Und so konnte mit Elan losgedreht werden. Der Film strotzt vor Aktionen. Was andere deutsche Regisseure immer wieder sichtbar vor Probleme stellte, scheint hier mit Lust und Können umgesetzt worden zu sein. Sicher, auf dem hoch budgetierten Level der James-Bond-Filme ist das noch lange nicht, aber im niedrig budgetiertem deutschen Unterhaltungskino der 1960er Jahre konnte man es nicht besser machen. Glücklicherweise wird das Spektakel mit einem kochenden Soundtrack von Peter Thomas untermalt, der an Opulenz nicht zu überbieten ist. Dessen Motto „mehr ist mehr“ lässt die Blechbläser knallen, dass es pures Vergnügen für alle Fans der 1960er-Ästhetik ist.

Auch wenn Harald Reinls Name mehr für Aktionskino als für Schauspielführung im Gegensatz zu seinem Kollegen Alfred Vohrer steht, muss man ihm doch bescheinigen, dass hier die Darsteller mehr Charakter haben als in den ersten Cotton-Filmen. Das zeigt sich schon dadurch, dass sich die vielen Gangsterfratzen als Individuen einprägen. Selbst in kleinsten Rollen sieht man herrlich prägnante Typen wie Rainer Basedow, Richard Haller oder Cotton-Gangster-Urgestein Hans Waldherr. Günther Schramm brilliert in einer für ihn ungewöhnlichen Rolle als verschlagener Anwalt und Reinls Stammschauspieler Dieter Eppler wirkte selten bösartiger als hier. Quasi als Gangster-Starschauspieler wurde Carl Möhner engagiert, bekannt aus dem französischen Ur-Heist-Movie „Rififi (1955). Aufgrund seiner Präsenz glaubt man ihm ohne jeden Zweifel den harten Gangsterboss. Aber der Boss hat selbst einen Boss, und dass der mit Karlheinz Fiege einen wesentlich filigraneren Eindruck macht, ist ein gelungener Kontrast. Leider ist Richard Münch als FBI-Chef Mr. High aus der Serie ausgeschieden, dafür sind selbst die kleineren FBI- Rollen mit Claus Holm und Horst Niendorf prominent besetzt. Und der immer sympathische Heinz Weiss als Phil Decker ist schließlich auch noch da. 

George Nader scheint jetzt definitiv in seiner Rolle als Jerry Cotton angekommen zu sein. Endlich darf er mal selbstironischer sein und warum auch nicht? Die brave Anständigkeit vorheriger Filme wirkte bisweilen schon etwas treudeutsch. Hier klopft er mit der fantastischen Synchronstimme von Gert Günther Hoffmann selbst in ausweglosesten Situationen sarkastische Sprüche. Sogar die kleine Episode mit seiner Mutter (Käthe Haack) bereitet ausgesprochenes Vergnügen.

Nach dem vergleichsweise asketischem Vorgänger „Der Mörderclub von Brooklyn“ spielen nun auch Frauen wieder eine Rolle. Welche das ist, erfahren wir unmissverständlich, wenn Jerry Cotton erstmals die Gangsterbar betritt. Zur Unterhaltung des Publikums in der Bar und des Publikums im Kinosaal tanzen nämlich junge Frauen in Unterwäsche, hemmungslos von Franz X. Lederles Kamers eingefangen. Wenn dann Sylvie Solar sich dem FBI-Mann nähert fragt der: „Haben Sie auch einen Namen?“, darauf sie: „Ich bin die kleine Lala…“, und er: „Das ist doch nichts Schlimmes.“ Ja, wir befinden uns im Jahr 1968. Die Frauen sind immer Projektionen geheimer Männerwünsche. Schließlich muss man sich die Zeit zwischen den Handgreiflichkeiten ja vertreiben. Zur Verteidigung lässt sich lediglich anmerken, dass das die ganze Chose mit einem Höchstmaß an Ironie präsentiert wird. Der offenherzigen Sylvie Solar wird aber ein Pendant gegenübergestellt. Die nicht weniger anziehende Marlies Dräger repräsentiert die dunkle Frauenseite. Meist in grünem Outfit steht sie erst einmal schweigend in Ecken, beobachtet Jerry Cotton mit psychotischen Blicken und gibt uns Rätsel auf. Während der rasanten Schlussverfolgungsszene nimmt sie sich extra die Zeit, ihr Outfit noch einmal für uns zu wechseln und befriedigt mit Politessen-Uniform alle fetischistischen Bedürfnisse. So macht Pulp Spaß. Wenn man denn Sinn für die Ironie hat.

Kein seriöser Filmkritiker würde „Dynamit in grüner Seide“ als Meisterwerk betiteln, das verbietet schon das naive Genre. Aber innerhalb dieses Genres, zumal für deutsche Verhältnisse, ist er ein Meisterwerk geworden. Und das ist doch nichts Schlimmes!

Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.