Todesschüsse am Broadway
Harte Zeiten für coole Helden
Es geht hart zur Sache, wenn sich Gangster Joe Costello aus prekären Situationen befreien muss. Auf der Jagd nach der Beute eines Goldraubs beginnt der Film gleich mit unbarmherzigen Schießereien und brutalen Morden. Costello ist aber auch schlau und lässt sich bereitwillig verhaften, um sich aus einem Gefangentransport befreien zu lassen. Und dabei töten sich wieder Gangster und Polizisten aufs Unbarmherzigste, während Costello sich dünn macht. Was macht aber ein so wendiger Gangster, wenn seine Visage inzwischen alle Steckbriefen ziert? Zu Nasen-Charly natürlich! Dieser ehemalige Chirurg operiert jetzt im Untergrund ganz speziellen Patienten die Gesichter so zurecht, dass niemand sie mehr erkennen kann. Logisch, dass deswegen vorsichtshalber auch der Arzt und seine Assistentin unmittelbar nach gelungenem Eingriff erschossen werden müssen. Nur noch die Zuschauer erkennen Costello, und das sogar von Weitem: Hut, Trenchcoat, Bart und Maschinenpistole sind ikonografische Merkmale des einsamen Verbrechers.
Miha Baloh (hier Miha Balch genannt) dürfte dem ein oder anderen aus dem Karl-May-Film „Unter Geiern“ (1964) und weiteren Karl-May-Filmen noch bestens in Erinnerung sein. Er stellt den harten Gangster schnörkellos dar und würde ohne Frage auch in jedem italienischen Poliziottesco eine gute Figur machen. Wie ein einsamer Wolf kämpft er gegen seinen Unterwelt-Konkurrenten Horst Naumann als Woody Davis und dessen zahlreiche Schergen - ein „Who-is-who“ deutscher Fernsehgangster wie Arthur Brauss, Herbert Fux oder Ulli Kinalzik. Da Heidy Bohlen als Nightclub-Sängerin Hinweise auf das Goldbarren-Versteck haben könnte, wird sie abwechselnd von den verfeindeten Bösewichtern entführt, gefoltert und malträtiert - bis FBI-Superheld Jerry Cotton dem bösen Treiben ein Ende macht.
Auf dieser Story-Basis ließ sich jede Menge Action präsentieren, die nicht durch zu viel exploitativen Firlefanz gestört wurde. Statt dem altväterlichen Mr. High sehen wir nun Konrad Georg als nüchternen Vorgesetzten Mr. Ross. So hieß Konrad Georg übrigens auch schon in einer ähnlichen Rolle in den Durbridge-Mehrteilern um Tim Frazer. Diese Nüchternheit erscheint viel adäquater zu der harten Welt des Verbrechens. Überhaupt ist klamaukiger Humor komplett eliminiert worden und beschränkte sich auf einige zotige Sprüche von Jerry Cotton und Phil Decker, die für das Jahr 1969 vergleichsweise milde temperiert waren. Krimiurgesteine aus alten Zeiten wie Rudolf Fernau als Chirurg mussten jetzt schnell durch einen frühen Filmtod abtreten, um Platz für die neue Generation zu machen. Für die steht neben den vielen Gangsterdarstellern jüngerer Generation auch Michaela May, die erst siebzehnjährig die Nichte des großen Bosses mimen darf.
„Todesschüsse am Broadway“ wirkt moderner und zeitgemäßer als seine Vorgänger. Im Gegensatz zu insbesondere den schwarzweißen Jerry-Cotton-Filmen sieht man endlich eine Menge Originalaufnahmen von New York, die nicht nur alibihaft dazwischen geschnitten worden waren, sondern wirklich Handlungsschauplatz abgaben. Gut, es gibt auch Rückprojektionen, die als solche erkennbar bleiben, doch insgesamt sieht alles erheblich professioneller aus als bisher. Niemand anderes als Regisseur Harald Reinl hätte im deutschen Film der Zeit solch saubere Action bieten können. Ihm gelang gewissermaßen mit „Todesschüsse am Broadway“ eine Vorschau auf das, was das internationale Männer-Kino der 1970er Jahre noch bringen sollte: Harte Action serviert mit trockenem Realismus. So hätte es mit der Cotton-Serie möglicherweise ebenfalls weitergehen können; ich zumindest hätte noch zwei, drei weitere Jerry-Cotton-Filme vertragen; am Filmende wurde schließlich noch ein weiterer Film versprochen. Doch die Konkurrenz lief der Reihe davon. „Poliziottesco“ hieß das neue Genre im italienischen Film, der mit erheblich größerem ästhetischem Feingefühl gesegnet war als die hiesige Filmproduktion. Und aus Amerika kamen erdrutschartig hochbudgetierte Polizei- und Gangsterdramen, die allesamt zu zeitlosen Kultfilmen des Genres avancieren sollten: „Dirty Harry“ (1971), „Shaft“ (1971), „French Connection“(1972), „Ein Mann sieht rot“ (1974) oder gar „Der Pate“ (1972) legten die Messlatte so hoch, dass die besten Jerry-Cotton-Filme dagegen wie ärmliches B-Kino einfachster Machart wirken mussten. Der Realismus dieser neuen Filme benötigte wirkliche Menschen als Hauptakteure. Eine Pulp-Figur wie Jerry Cotton musste angesichts gebrochener Charaktere wie Harry Callahan oder Popeye Doyle völlig naiv wirken. In dieser Zeit kam selbst James Bond ins Schlingern. Schließlich konnten sogar amerikanische Fernsehserien wie „Die Straßen von San Francisco“ (1972-77) die Bedürfnisse nach Action-Unterhaltung zuhause befriedigen und im deutschen Fernsehen zeigte der junge Regisseur Wolfgang Petersen mit seiner Tatort-Folge „Jagdrevier“ (1974), wie man das Thema gebrochene Actionhelden angeht.
Die Zeitenwende betraf auch die Filmmusik. Peter Thomas hat nochmals einen meisterhaften Score hingelegt, aber auch sein hochgepeitschter Jazz-Sound fand den Weg in eine neue Zeit nicht mehr. Nicht, dass er noch in einigen Filmen 1970/1972 stylische Hörerlebnisse zubereitet hätte, doch die Zeit brauchte eine neue Ästhetik, was gerade die amerikanischen Filme mit völlig heterogener Musik bewiesen. Peter Thomas mit seinem knalligem 1960er-Sound sollte erst Jahrzehnte später angemessen wertgeschätzt werden.
Die Jerry-Cotton-Reihe verabschiedete sich mit einem anständigen Film noch rechtzeitig vor den 1970er Jahren. Das war eigentlich ein wenig bitter, denn die Serie hatte sich von stolpernden Anfängen auf ein immer professionelleres Niveau hochgearbeitet. Als kleines Geschenk schließt die Serie mit einem Gastauftritt von Dieter Eppler. Der Stammschauspieler von Harald Reinl (elf gemeinsame Kinofilme) erweist sich ausnahmsweise nicht als Gangster, sondern als Fernsehproduzent, der die Hauptdarstellerin unter Vertrag nehmen wird. Dort macht sie Karriere. Jerry Cotton und Phil Decker werden nicht mehr gebraucht.
Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.