Der Teppich des Grauens (1962)

Die Louis Weinert-Wilton-Filmreihe startet mit Flammen, aber ohne Feuer

1962 wurde eine neue Kriminalfilmserie gestartet. Die Edgar-Wallace- und Dr. Mabuse-Filme waren ein großer Publikumserfolg und provozierten bei Produzenten geradezu die Planung neuer Kriminalfilme der damals so genannten „Harten Welle“. Die Romane des Tschechen Louis Weinert-Wilton (1875-1945) liefen im Goldmann-Verlag fast so gut wie die Romane von Edgar Wallace, der für den Autor auch Inspiration war. Weinert-Wiltons Werke waren allerdings etwas konstruierter, komplizierter und natürlich weniger englisch, denn der Schriftsteller musste sich den Schauplatz seiner Romane in der Fantasie ausmalen. Aber wen kümmerte das in Deutschland, denn England war bis in die 1960er Jahre ein Ort, den man sich allenfalls so vorstellen konnte, wie es zum Beispiel die Miss-Marple-Filme suggerierten. Als Regisseur verpflichtete man keinen geringeren als Harald Reinl, der auch die Edgar-Wallace- und Karl-May-Film-Serie erfolgreich gestartet hatte. Und als Hauptdarsteller hatte man mit Joachim Fuchsberger und Karin Dor das Traumpaar des deutschen Kriminalfilms unter Vertrag genommen. Die Co-Produktion mit Italien und Spanien schien den Film für den internationalen Markt kompatibel zu machen. Neben einem gesicherten Budget gab es somit auch neue Leute vor und hinter der Kamera. Die Filmmusik zum Beispiel komponierte Francesco de Masi, ein italienischer Meister seines Fachs.

Um so erstaunter kann man über das Ergebnis sein: heraus kam ein zwar handwerklich sauber produzierter, aber braver und altmodischer Krimi. Mit „altmodisch“ ist hier keineswegs die stilisierte Atmosphäre der Agatha-Christie-Welt gemeint, sondern die überholte Machart eines Krimis. Ein Film dieser Art hätte in England fünfzehn Jahre früher entstanden sein können. Die Story stellt sich als überraschend simpel heraus: der Boss einer Verbrecherbande lässt diejenigen der Verbrecher töten, die ihm gefährlich werden könnten. Das ist es schon. Aufgepimpt wurde die Handlung noch mit allerlei harmlosen Zutaten, zum Beispiel einer hübschen Nichte, die entführt wird; einer Femme Fatale, die ein verliebter Trottel heiraten möchte; einem zu ehrgeizigen Inspektor und einem verdächtigen Oberst, der aber in Wirklichkeit ein Mann des Secret Service ist. Die Sensation des Films sind kleine weiße Kügelchen, die auf Teppichen seltsame chemische Vorgänge auslösen, bei denen ein unbekanntes exotisches Gas entsteht, das tödlich wirkt. Glücklicherweise hat aber ein patenter Arzt auch schon ein Gegengift zur Hand. Das ist also ein Stoff von Louis Weinert-Wilton, einem der erfolgreichsten Krimiautoren? Dazu wäre kein kreativer Geist nötig gewesen. Die Handlung läuft brav und ohne Humor ihrem Ende zu, doch Halt! Es gibt einen Sidekick, nämlich den dunkelhäutigen Diener des Helden. Der nennt seinen Herrn „Sir“, während er von allen geduzt wird. Das ist für ihn anscheinend völlig in Ordnung; mit lustigen Kulleraugen und kaputter Stimme versucht er in Louis Armstrong -Manier die Weißen zu belustigen. Puh, ich bin wirklich kein Korinthenkacker, der überall Rassismus aufspüren muss, aber das ist zu viel. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Macher des Films schon die Mitwirkung eines Schwarzen für modern hielten. Eine ironische Performance, wie sie Eddi Arent in den Edgar-Wallace-Filmen erfolgreich gegeben hat, schien niemanden in den Sinn gekommen zu sein. Die Handlung läuft spröde ab und führt uns in eine biedere Welt.  Der Film kann sich nicht einmal verkneifen, dem Publikum vorzuführen, wie der Held seiner Mutter die Angebetete vorstellt. Francesco de Masi (hier: „Franz Damasi“, warum eigentlich?) komponierte zwar hervorragende Musik, die aber in ihrer sinfonischen Machart ebenso aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Dafür kann „Der Teppich des Grauens“ mit guten Darstellern aufwarten, die einfach nur wirken müssen. Joachim Fuchsberger macht seinem Image als smarte Kriminalfilm-Held alle Ehre, wenn er nicht gerade seinen dunkelhäutigen Diener herumkommandiert. Karin Dor werden ein paar extra große Aufnahmen ihres schönen Gesichts gewährt. Ehemann Harald Reinl weiß schließlich, wie er seine Frau vorteilhaft zur Geltung bringen muss. Reinls Stammschauspieler Carl Lange - sie drehten acht gemeinsame Filme - darf sein beeindruckendes Antlitz ebenso oft präsentieren und strahlt unnachahmlich harte Autorität aus. Auch Werner Peters überzeugt einmal mehr als gleichermaßen charakterloser und verängstigter Gauner. Und dann gibt es noch die italienische Filmschönheit Eleonora Rossi-Drago, die Reinl als mondäne Femme Fatale in Szene setzt. Auch die spanischen Nebendarsteller, die uns höchstens aus wenigen ähnlichen Filmen bekannt erscheinen dürften, machen ihre Chargen-Arbeit sehr gut. Es ist auffällig, dass die Darsteller allesamt mehr durch ihre Präsenz als durch das Schauspiel zur Geltung kommen. Reinl war eben auf mehr Bilder als auf Drama spezialisiert. Optisch besonders gelungen sind auch die Schauplätze, besonders zum Finale des Films. Die unterirdischen Gewölbe machen visuell mehr her als ähnliche Katakomben in Edgar-Wallace-Filmen.

So startet die Louis Weinert-Wilton-Filmreihe mit einem handwerklich solide inszenierten Film, der zwar präsente Darsteller und ein aktionsreiches Finale aufweisen kann, aber in Summe doch sehr altbacken daherkommt. Die fantastischen und parodistischen Elemente der Wallace-Filme fehlen hier vollständig; ich vermute, dass dieser Film auch gar nicht epigonal sein wollte. Was dann aber übrig bleibt, ist eine uninspirierte Story. Reinl macht zwar schöne Bilder und kann am Schluss auch Action mit Schusswechseln, Explosionen und Flammen präsentieren, aber Feuer fängt man für die neue Filmreihe nicht. Trotzdem sollten in den kommenden zwei Jahren noch drei weitere heterogene Streifen nach Romanen von Louis Weinert-Wilton in die Kinos kommen.

Verfasser: Hans-Jürgen Osmers I Sämtliche Texte unterliegen dem Urheberrecht und dürfen ohne Zustimmung und Quellenangabe nicht anderweitig verwendet werden.